Zur Geschichte der Abtreibung in Deutschland

Paragraph §218 besagt, dass wer eine Schwangerschaft abbricht, mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft wird. Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn der Abbruch gegen den Willen der Schwangeren durchgeführt wird oder wenn die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsgefährdung besteht. In diesem Fall drohen bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Führt die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch selbst durch, kann es zu einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe kommen. 

Das Abtreibungsverbot, der Paragraph §218, wurde 1871 in das Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem neue Rechtstheorien erschienen und alte vom Kirchenrecht beeinflussten Bestimmungen mit den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr vereinbar waren. Somit wurde nicht mehr die Vereinigung von Ei und Samenzelle, sondern der 80. Tag der Schwangerschaft als ‚Beseelung‘ angesehen und eine Abtreibung ab diesem Zeitpunkt zum Tötungsdelikt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu einem Konflikt zwischen Staat, Medizin und Frauen, woraus sich die Formierung einer Frauenbewegung und der ‚Gebärstreikdebatte‘ von 1913 ergab. Ein Gesetztesentwurf zur Schwangerschaftsunterbrechung von 1918 kam nicht zur Verabschiedung, da es wegen des Kriegsbeginns einen erhöhten Bedarf an Soldaten und Arbeitern gab. Die Massenbewegung gegen den §218 entwickelte sich auch durch die Sexualreformbewegung und baute ein Netz von Sexualberatungsstellen auf. Politische Führungsrolle in dieser Bewegung war die KPD. 

Nach der Machtübernahme der Hitlerfaschisten richtete sich die Bewertung der Abtreibungsstrafbarkeit nach den Zielen der Rassen- und Bevölkerungspolitik. Die sog. “Ostarbeiterinnen”, die vor allem in der Rüstungsindustrie Zwangsarbeit verrichteten und damit von großer kriegswirtschaftlicher Bedeutung waren, wurden in der Regel Zwangsabtreibungen unterzogen. Zuvor wurden schwangere Arbeiterinnen in Entbindungsanstalten gebracht und mussten nach der Geburt umgehend zurück in die Fabrik. Die Neugeborenen wurden in sog. ,Ausländerkinder-Pflegestätten‘ untergebracht und starben dort durch Misshandlung – häufig verhungerten die Neugeborenen, weil ihnen aus rassenpolitischem Kalkül Nahrung verweigert wurde. Die Hitlerfaschisten befürchteten eine also ,Unterwanderung des deutschen Volkes‘, benötigten aber gleichermaßen die Arbeitskraft der Frauen für die Kriegsvorbereitungen. NS-Zwangsarbeit wurde erst Jahrzehnte später in der bundesdeutschen Öffentlichkeit diskutiert – dabei spielen die Zwangsarbeiterinnen und die menschenverachtenden Verbrechen, die ihnen angetan wurden, bis heute eine marginale Rolle.

In der Nachkriegszeit entstand die Befürwortung der Indikation in der Medizin, wobei sie die völlige Abtreibungsfreigabe zum Schutz der Frau allerdings trotzdem ablehnte. Durch diese minimale Liberalisierung und der sogenannten sexuellen Revolution in den 1960ern kam es auch durch den Gebrauch der Pille zu einer erneuten öffentlichen Diskussion. Die Studentenbewegung führte zur ‚neuen Frauenbewegung‘ welche durch die Einforderung des Selbstbestimmungsrechts der Frau dem $218 den Kampf ansagte. Das Abtreibungsstrafrecht, welches bis heute gilt, ist eine Mischung aus dem beratungspflichtigen Fristenmodell bis zur zwölften Woche und der erweiterten medizinischen und kriminologischen Indikation. 

Wie drastisch sich die verschiedenen Ansichten bis heute ziehen zeigt auch der Paragraph §219a, welcher das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche regelt. Erst 2017 wurde die Gießener Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Website angeblich Werbung für Abtreibungen machen würde. In der Urteilsbegründung wurde tatsächlich besagt, dass schwangere Frauen hormonell bedingt nicht in der Lage seien sich für oder gegen eine Abtreibung zu entscheiden. Damit wird Frauen nicht nur Wissen vorenthalten, sie werden auch als Wesen stigmatisiert, die vor sich selbst geschützt werden müssen. In diesem Fall zeigte sich offensichtlich, dass sachliche Informationen als ‚Werbung‘ eingestuft wurden. 

Aus diesem Fall heraus ist erneut eine öffentliche Diskussion entfacht. Die sogenannten ‚Lebensschützer‘ versuchen in dieser Auseinandersetzung mit aggressiven Mitteln ihre frauenverachtende Ideologie in der Gesellschaft zu verankern. Sie beeinflussen schwangere Frauen systematisch, indem sie ihnen beispielsweise vor Abtreibungskliniken oder Beratungsstellen auflauern und bezichtigen die Frauen des Mordes oder schrecken sie durch Holocaust-Vergleiche ab – dabei geben sich die Gruppen, die zu großen Teilen christlich-fundamentalistisch ausgerichtet sind, aber auch enge Kontakte in rechtsradikale Kreise pflegen, häufig als frauenfreundlich aus – dass das eine glatte Lüge ist, sollte auf der Hand liegen. Den Frauen wird von derartigen Gruppierungen das Recht auf Selbstbestimmung völlig abgesprochen. 

Besonders prekarisierte oder migrantische Frauen leiden unter den Paragraphen. Frauen mit finanziellen Problemen oder in finanzieller Abhängigkeit können sich häufig nicht gegen ein konservatives Umfeld wehren. Zudem ist es für sie schwieriger, sich sichere Verhütungsmittel zu leisten, was eine Abtreibung wahrscheinlicher macht. Geflüchtete Frauen haben außerdem häufig einen eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem. 

Im Juli diesen Jahres wurde endlich der §219a aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Dies ist zwar als ein Meilenstein im Kampf der Frau zur körperlichen Selbstbestimmung allerdings noch lang nicht das Ende. Es ist das Resultat jahrzehntelanger Kämpfe.

Wir sagen: Auch der §218 muss aus dem StGb verschwinden!Für die Befreiung der Frau gegen Kapital, Kirche und Patriarchat! 

Ein Text von dem Bündnis Achter März zum Safe Abortion Day 2022.