Ein Debattenbeitrag
Feminismus war seit jeher Angriffen und Diffamierungen ausgesetzt. Forderungen nach Gleichheit aller Geschlechter, nach körperlicher Selbstbestimmung oder Schutz vor Gewalt wurden regelmäßig als überzogen oder gefährlich abgetan. Eine der schärfsten Formen dieser Abwertung besteht darin, Feminist:innen als „militant“ zu brandmarken – ein Vorwurf, der zumeist aus einer rechts-konservativen Ecke kommt. Dass sich Feminist:innen selbst so bezeichnen, ist hingegen selten. Zu groß scheint die Angst, durch die bürgerliche Öffentlichkeit ins Abseits gestellt und in die Ecke der „Extremist:innen“ gedrängt zu werden.
Diese Zuschreibung ist kein Zufall, sondern Teil einer gezielten politischen Strategie. Wer Feminist:innen als „militant“ bezeichnet, verfolgt das Ziel, ihre Anliegen zu delegitimieren und sie als irrational und gefährlich darzustellen. Es handelt sich um ein Mittel bürgerlicher Entwaffnung: Indem der Begriff mit Extremismus und Gewalt gleichgesetzt wird, sollen unsere Forderungen entwertet und ihre Berechtigung in Zweifel gezogen werden. Die Rede von „Gefährlichkeit“ oder „Irrationalität“ ist nicht Ausdruck neutraler Beobachtung, sondern bewusst eingesetzte Rhetorik, die verhindern soll, dass feministische Kämpfe gesellschaftliche Resonanz entfalten.
Dabei haben diese Forderungen nach Gleichheit und Selbstbestimmung haben nichts mit Militanz im eigentlichen Sinne zu tun. Doch gerade das macht deutlich, dass wir uns mit dem Begriff auseinandersetzen müssen. Überlassen wir ihn den Gegner:innen, bleibt er ein Stigma, das gegen uns gerichtet wird. Füllen wir ihn jedoch selbst mit Inhalten, wird sichtbar, dass militante Praxis kein Makel ist, sondern eine legitime und notwendige Form feministischer Politik. Nur so können wir verhindern, dass der Begriff als Waffe gegen uns dient – und ihn stattdessen zur Grundlage machen, um Gegenmacht aufzubauen und Unterdrückung praktisch zu durchbrechen.
Feminismus
Patriarchale Unterdrückung ist in unserer Gesellschaft so selbstverständlich, dass sie oft erst ins Bewusstsein tritt, wenn wir unmittelbar betroffen sind: durch Ungleichbehandlung in der Familie, niedrigeren Lohn im Job oder die ungleiche Verteilung von Reproduktionsarbeit in heterosexuellen Beziehungen. Heute, im digitalen Zeitalter, werden solche Muster sichtbarer. Begriffe wie „Gaslighting“, „Catcalling“ oder „Stealthing“ haben Phänomene benannt, die lange unsichtbar blieben. Die weltweite #MeToo-Bewegung schließlich verdichtete individuelle Erlebnisse zu einem kollektiven Bild patriarchaler Gewalt und machte deutlich: Die vielbeschworene „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ schützt uns nicht, sie trägt selbst dazu bei, Gewalt hervorzubringen.
Diese Gewalt ist nicht auf einzelne Übergriffe beschränkt, sondern tief in gesellschaftliche Strukturen eingeschrieben. Frauen übernehmen nach wie vor den Großteil unbezahlter Sorgearbeit, während Pflege- und Care-Berufe, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, schlecht bezahlt und prekarisiert sind. Der Gender Pay Gap hält ökonomische Abhängigkeiten aufrecht. Gleichzeitig bleibt reproduktive Selbstbestimmung eingeschränkt: Abtreibungsparagrafen kriminalisieren Entscheidungen über den eigenen Körper, Polizei und Justiz bagatellisieren sexualisierte Gewalt. Auch die globale Arbeitsteilung verschärft Ungleichheit: Migrantische Frauen übernehmen Care- und Hausarbeit in wohlhabenden Haushalten unter unsicheren Bedingungen. Patriarchale Gewalt ist also nicht nur individuelles Leid, sondern ein Mechanismus, der Abhängigkeit schafft, unsere Arbeit entwertet und unsere Körper verfügbar macht.
Dass dies kein zufälliges Nebenprodukt ist, sondern ein grundlegender und historischer Bestandteil kapitalistischer Herrschaft: Engels beschrieb bereits 1884 die Unterordnung der Frau als „erste Klassenteilung“ der Geschichte, verbunden mit der Entstehung von Privateigentum als Grundlage der heutigen Gesellschaft. Federici wies daran anschließend nach, dass die gewaltsame Kontrolle weiblicher Körper – von der Hexenverfolgung bis zur modernen Reproduktionsarbeit – eine Voraussetzung kapitalistischer Akkumulation war und das die gewaltvolle Einhegung der Frau bis heute Bestand hat: in der Abwertung von Sorgearbeit, in der Einschränkung reproduktiver Rechte, in der Auslagerung von Care-Arbeit auf prekarisierte migrantische Arbeitskräfte. Patriarchale Gewalt ist damit nicht nur individuelles Fehlverhalten, sondern ein zentrales Instrument kapitalistischer Herrschaft.
Vor diesem Hintergrund steht die Forderung nach Selbstbestimmung im Zentrum feministischer Kämpfe. Es geht um die Entscheidung, ob und wie wir eine Familie gründen, Sexualität leben, unsere Geschlechtlichkeit und Körper gestalten oder wen wir lieben. Doch diese Forderung ist gesellschaftlich ungleich realisierbar: Während FLINTA aus Mittel- und Oberschicht bestimmte Freiheiten „erkaufen“ können – durch Zugang zu Abtreibungen, sicherem Wohnraum, juristischen Verfahren oder medizinische Transitionen –, bleibt proletarischen und migrantischen Schwestern diese Möglichkeit systematisch verwehrt. Patriarchale Gewalt spaltet so unsere Klasse, indem sie Männern – selbst ausgebeutet – ein Stück Macht verleiht und proletarische Solidarität untergräbt. Flora Tristan brachte dies auf den Punkt: „Der am meisten unterdrückte Mann kann noch ein anderes Lebewesen unterdrücken, und das ist seine Frau. Sie ist die Proletarierin des Proletariers.“
Besonders deutlich zeigt sich die politische Dimension am Verhalten des Staates. Während er vorgibt, uns zu schützen, organisiert er in Wahrheit unsere Unsicherheit. Abtreibungen werden kriminalisiert, Femizide hingenommen, Eigentum geschützt, während unsere Körper verletzlich bleiben. Im Jahr 2024 wurden allein in Deutschland 103 Frauen ermordet, jeden Tag wird ein Mordversuch registriert. Polizei und Justiz trivialisierten noch immer sexualisierte Gewalt – wir müssen erklären, dass Kleidung keine Schuldfrage ist und dass nur ein „Ja“ auch „Ja“ bedeutet. Diese Realität beweist, dass bürgerliche Reformen nicht ausreichen, um Selbstbestimmung zu garantieren. Feministische Militanz ist daher notwendig, weil unsere Befreiung nicht im Rahmen staatlicher Institutionen erkämpft werden kann.
Gewalt
So strukturell verankert diese Gewalt auch sein mag begegnet sie uns dennoch zumeist in Form einer persönlichen und individuellen Erfahrungen. Sie tritt im Catcall auf der Straße, in der Hand des Fremden in der Bar oder in der Abhängigkeit einer Beziehung hervor. Solche Erlebnisse prägen unser Bewusstsein und verändern unsere Wahrnehmung. Doch die Deutungen, die uns dafür angeboten werden, verschleiern den Zusammenhang von individueller Tat und systematischer Grundlage: Uns wird gesagt, wir hätten provoziert, unser Kleid sei zu kurz gewesen, der Täter habe „aus Liebe“ gehandelt. Solche Zuschreibungen individualisieren Gewalt geben den Betroffenen die Schuld und erfüllen damit eine wichtige Funktion patriarchaler Gewalt: Sie diszipliniert uns, hält uns klein und stabilisiert eine Ordnung, in der Männer Vorherrschaft beanspruchen und kapitalistische Herrschaft abgesichert wird.
Besonders deutlich wird dies im Bereich der Familie. Gewalt erscheint hier als privates Problem, als Ausbruch einzelner Männer. Engels zeigte jedoch bereits, dass die patriarchale Familie ein Ort ist, an dem Herrschaft institutionell organisiert und weitergegeben wird. Was als privat erscheint, ist damit gesellschaftlich verankert. Noch heute sind es gerade Partnerschaften und Familien, in denen FLINTA am meisten Gewalt erfahren, weil Abhängigkeiten geschaffen werden, die uns in Isolation halten. Damit organisiert diese Gewalt unsere Rolle als Abhängige, Ausbeutbare und jederzeit Verfügbare. Sie ist damit kein Ausnahmezustand, sondern Normalzustand. Peter Brückner schrieb 1976, Gewalt sei das Fundament der bürgerlichen Gesellschaft: sichtbar im Strafvollzug, in der Militarisierung der „inneren Sicherheit“ und im Ausbeutungsverhältnis selbst. Gewalt strukturiert unser Leben, unsere Arbeit, unsere Körper. Sie erscheint als individuelle Tat, ist jedoch die Grundlage einer Ordnung, die auf Unterordnung und Spaltung beruht.
Eine militant-feministische Strategie
Aus der Analyse der Gewalt ergibt sich die Frage, wie feministische Militanz politisch wirksam werden kann. Militanz darf nicht mit spontanen Ausbrüchen oder individuellen Racheakten verwechselt werden, sondern muss Teil einer bewussten Strategie sein. Sie ist ein Mittel, um Unterdrückung zu durchbrechen und kollektive Handlungsfähigkeit aufzubauen. Feministische Strategie bedeutet daher, Gewalt nicht zu verherrlichen, sondern sie als eines von mehreren Instrumenten im Kampf zu begreifen – immer im Hinblick auf das Ziel der Befreiung.
Ein zentraler Punkt ist die Umkehrung der Angst. Patriarchale Gewalt wirkt, indem sie uns einschüchtert, vereinzelt und zum Schweigen bringt. Feministische Militanz setzt hier an: Sie zielt darauf, diese Angst auf diejenigen zurückzuwerfen, die von unserer Unterordnung profitieren. Wenn nicht wir, sondern unsere Unterdrücker:innen Angst verspüren, verändert das das Kräfteverhältnis grundlegend. Geschichte und Gegenwart liefern Beispiele: Die „Rote Zora“ griff in den 1970er- und 1980er-Jahren gezielt patriarchale Institutionen an, um sichtbar zu machen, dass Frauen nicht wehrlos sind. Die Bewegung „Ni una menos“ in Argentinien entwickelte sich aus dem Protest gegen Femizide und machte feministische Militanz zu einem gesellschaftlichen Aufbruch. Und die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) zeigen, dass militante Praxis nicht nur eine Reaktion auf Unterdrückung ist, sondern eine kollektive Organisierung, die neue Räume von Freiheit eröffnet.
Damit wird deutlich, dass feministische Militanz nur in kollektiver Form ihre volle Wirkung entfalten kann. Einzelne Akte mögen symbolisch aufrütteln, doch ihre politische Kraft entsteht erst durch gemeinsame Organisierung. Kollektive Praxis verhindert, dass militante Aktionen als isolierte Gewaltakte kriminalisiert oder entpolitisiert werden. Organisierte Strukturen verwandeln individuelle Ohnmacht in kollektive Stärke, machen Erfahrungen teilbar und schaffen die Grundlage für dauerhafte Veränderung.
Feministische Militanz muss außerdem immer in ein größeres politisches Projekt eingebettet sein. Sie darf nicht zur Sackgasse werden, sondern muss mit Aufklärung, Solidarität, Streik und Organisation am Arbeitsplatz, in der Schule oder in der Nachbarschaft verbunden sein. Ihre Wirksamkeit entsteht aus der Verbindung von politischer Klarheit, kollektiver Praxis und der Fähigkeit, im richtigen Moment entschlossen zu handeln. Gewalt, wo sie notwendig wird, bleibt dabei begrenzt durch ihre Funktion: Sie soll schützen, verteidigen, Machtverhältnisse erschüttern – nicht selbst zu einem Prinzip der Herrschaft werden.
So verstanden, ist Militanz nicht nur Verteidigung, sondern auch Eröffnung neuer Möglichkeiten. Sie schafft Räume, in denen wir nicht länger in Angst leben, sondern gemeinsam neue Formen von Freiheit erproben können. Militante Praxis ist Ausdruck der Weigerung, sich patriarchaler Gewalt zu beugen, und zugleich der Versuch, eine Gegenmacht aufzubauen, die den Alltag verändern kann. Die Geschichte zeigt, dass grundlegende Veränderungen ohne militante Praxis kaum erkämpft wurden. Militanz ist damit keine Randerscheinung, sondern eine notwendige Dimension feministischer Strategie, die uns befähigt, den Kreislauf von Gewalt und Angst zu durchbrechen und neue Perspektiven der Befreiung zu eröffnen.
Revolution
Feministische Militanz erwächst aus der Notwendigkeit, uns in einem System permanenter patriarchaler Gewalt zu verteidigen. Doch ihr Horizont endet nicht bei der Selbstverteidigung. Jede kollektive Tat feministischer Selbstermächtigung erschüttert ein System, das auf patriarchaler, kapitalistischer und rassistischer Unterdrückung beruht. Militanz bedeutet daher nicht nur Schutz im Bestehenden, sondern zielt auf die Überwindung des Patriarchats selbst – und mit ihm der Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse, die es stützen.
Die Forderung nach einer sozialistischen Revolution ist damit kein Pathos, sondern Konsequenz. Alles bisher Gesagte – von alltäglicher Gewalt in Familie und Partnerschaft über ökonomische Abhängigkeit bis zur staatlichen Bagatellisierung von Femiziden – zeigt: Reformen lindern Symptome, heilen aber nicht die Krankheit. Es gibt kein friedliches Arrangement mit einem System, dessen Grundstein unsere Unterwerfung ist. Der revolutionäre Umsturz ist deshalb die radikale Antwort auf die Frage, wie wir leben wollen: in einer Gesellschaft, die nicht mehr auf Angst, Gewalt und Ausbeutung beruht, sondern auf Solidarität, Gleichheit und Fürsorge.
Auch im revolutionären Prozess gilt: Gewalt ist kein Ziel, sondern ein Mittel, wo andere Mittel nicht greifen. Ihre Legitimität erwächst nicht aus Lust an der Zerstörung, sondern aus der Notwendigkeit, unser Leben, unsere Würde und unsere Freiheit zu verteidigen. Ziel ist nicht, Herrschaft zu spiegeln, sondern eine Gesellschaft zu schaffen, in der Angst keine Grundlage sozialer Ordnung mehr ist. Sie schafft den Raum, in dem wir uns eine befreite Gesellschaft überhaupt vorstellen können. Sie macht sichtbar: Die Gewalt, die uns auferlegt wurde, ist nicht naturgegeben, sondern gemacht – und was gemacht ist, kann gebrochen werden. Revolutionärer Feminismus ist keine Randströmung, sondern die notwendige Verbindung von antikapitalistischem, antirassistischem und antipatriarchalem Kampf. Nur wenn wir diese Kämpfe zusammenführen, kann die Herrschaft, die unser Leben bestimmt, überwunden werden.
Revolution ist kein fernes Ereignis, das eines Tages vom Himmel fällt. Sie beginnt hier und jetzt, in jeder kollektiven Handlung, die Angst in Mut verwandelt, Vereinzelung in Organisierung, Ohnmacht in Widerstand. Sie wächst in unseren Körpern, unseren Kämpfen, unseren Beziehungen – und sie wird unaufhaltsam, wenn wir begreifen, dass unsere Befreiung nur gemeinsam möglich ist. Frei nach Angela Davis: Wir ändern die Dinge, die wir nicht akzeptieren können. Darin liegt der Kern feministischer Militanz – die radikale Verweigerung, das Untragbare weiter zu ertragen.