Who cares? Stimmen aus der Reproduktion

Spätestens seit den 00er Jahren ist in der BRD von der sogenannten „Care-Krise“ die Rede – einer profitorientiert produzierten Krise, die auf eine zunehmende Möglichkeit zur Verantwortungslosigkeit qua Geschlecht bzw. ökonomischer Mittel zurückgeht. Die Kosten dieser Verantwortungslosigkeit werden währenddessen auf Frauen und Queers abgewälzt.

Anlässlich des feministischen Kampftages am 8. März wollen wir also diejenigen zu Wort kommen lassen, die die prekären Bedingungen in der unbezahlten sowie bezahlten Sorgearbeit nicht nur betreffen. Es sind auch diejenigen, die die Macht dazu haben, das gesamte kapitalistische System, wie wir es kennen, zum Einsturz zu bringen, sollten sie ihre Arbeit niederlegen.

Es liegt also an uns dafür zu sorgen, dass es nicht mehr nur uns FLINTA interessiert, wer wie Fürsorge leistet:

Für eine gesamtgesellschaftliche Verantwortungsübernahme für Sorge-Bedürftige!
Raus auf die Straße am 8. März!

Interview mit einer Kranken- und Gesundheitspflegerin

Insbesondere Frauen und Queers sind häufig im Care-Bereich tätig, wodurch meistens eine Doppelbelastung entsteht: Care Arbeit im Job und anschließend noch zu Hause. Was würde dich von dieser Doppelbelastung befreien?

Ich persönlich bin davon nicht so stark betroffen. Ich habe keine Kinder, ich habe niemanden Pflegebedürftiges in meinem Umfeld, ich bin Single. Ich habe nur meinen Job und der Rest der Arbeit betrifft nur mich und meinen Alltag. Einen Grund – sicherlich nicht der Hauptgrund – dafür sehe ich darin, dass das System so ist, wie es ist. Ich fühle mich beispielsweise nicht besonders eingeladen, Kinder zu kriegen, weil ich bei meinen Kolleginnen eben diese Doppelbelastung beobachten kann. Es gibt diese strukturelle Benachteiligung von alleinerziehenden Müttern oder auch von teilzeitarbeitenden Kolleginnen, die zu Hause mehr Carearbeit leisten und dementsprechend ihre Jobs reduzieren. Und dadurch entsteht ein finanzieller Nachteil. Das ist eine große Einschränkung, die in unserer Gesellschaft noch nicht voll akzeptiert und angekommen ist. Ich finde, es dürfte eigentlich keine Verluste des Gehalts bedeuten, wenn ich mein Kind großziehe. Das ist definitiv ein großes Problem, auch wenn ich mich nicht als sprechfähig betrachte, einfach, weil es mich nicht primär betrifft und wahrscheinlich auch in der Zukunft nicht so stark betreffen wird.

Wie wichtig ist deiner Meinung nach Care Arbeit für unsere Gesellschaft und warum?

Ich würde sagen extrem wichtig. Statistisch gesehen ist jeder Mensch irgendwann in seinem Leben mal care-bedürftig, von der Hebamme bis hin zur Pflegekraft oder Betreuerin, die einen in den Tod begleitet. Es braucht nur einen kleinen Unfall und schon sind wir pflege- oder hilfsbedürftig. Manchmal kürzer, manchmal länger. Ich glaube, das betrifft einen großen Teil unserer Gesellschaft und ich denke, dass wir einander helfen müssen in Zeiten der Krise. Und dass wir uns umeinander sorgen, ist ja auch ein Faktor, der uns menschlich macht, oder? Wir haben die Möglichkeit, wir haben die Wissenschaft, wir haben die Technik, wir haben die Ressourcen, um uns umeinander zu kümmern. Und trotzdem besteht dieser massive Konflikt zwischen Care Arbeit und Profitlogik. Das Kümmern um Menschen wirft halt keinen Profit ab. Und wir leben im Kapitalismus. Das verträgt sich leider nicht miteinander und hindert uns letztlich daran, tatsächlich Verbesserungen nachhaltig durchzusetzen. Es gibt diese Trennung der beiden Dinge leider nicht in unserem System, sodass die Versorgung und die Care-Arbeit für Menschen, für Kinder, für Alte, für Kranke, für Schwache eine Priorität darstellt. Das wirft kein Geld ab und das ist auch in Ordnung so! Diese Trennung von Fürsorge und Profit haben wir leider nicht und das müssen wir hinkommen. Das ist, denke ich, vielen Care-Arbeiterinnen natürlich ein extremer Dorn im Auge, denn natürlich haben die Wenigsten diesen Job gewählt, um Reichtum anzuhäufen, sondern um tatsächlich Menschen helfen zu können. Und das steht einfach im Konflikt miteinander.

Hast du das Gefühl, dass du genügend Anerkennung für deine Care Arbeit erfährst? Was würde es für dich bedeuten, wenn deine Care Arbeit gesellschaftlich breitere Anerkennung erfahren würde?

Ich tue mich ehrlicherweise immer schwer mit diesem Wort Anerkennung. Denn das klingt häufig so, als bräuchte ich jemanden, der sagt “Oh, deine Arbeit ist so wichtig” und “Danke!” und klatschen. Das hat immer dieses Geschmäckle. Ich glaube was definitiv nicht da ist, ist eine ausreichend finanzielle Anerkennung. Finanzielle Wertschätzung von dem, was Kolleginnen leisten oder was ich leiste. Das spiegelt sich wider. Das bezieht sich auch auf die Problematik der zweiten Frage. Solange in unserer Gesellschaft die Care-Arbeit nicht abgekoppelt wird von unserem kapitalistischen Denken, solange kann auch keiner erwarten, dass Care-Arbeiterinnen fair bezahlt werden. Und genau da müssen wir hinkommen. Und natürlich entsteht ein weiterer Faktor von geringerer Anerkennung dadurch, dass Care-Berufe heutzutage primär von Frauen und Queers ausgeübt werden. In der Vergangenheit war zum Beispiel der Pflegeberuf zu Beginn ein eher männlich dominierter Beruf. Diese teilweise “männlichen” Berufe haben sich also mit der Zeit feminisiert. Seitdem hat eine Entwertung dieser Tätigkeit stattgefunden, weil Frauen in dieser Gesellschaft schlichtweg ein geringeres Standing haben. Solange Frauen und Queers also nicht gleichberechtigt sind, wird auch Care-Arbeit nie mit männlicher Produktionsarbeit gleichgesetzt und genau so wie diese respektiert werden

Was mich sehr häufig ärgert ist, dass wir als Pflegekräfte, also einem stark weiblich dominierten Beruf, häufig weniger anerkannt werden. Wir haben nicht den Standpunkt und das Standing, um in Diskursen mitzureden. Und bei mir, in meinem Job und in meiner Notaufnahme fällt mir das extrem auf. Ich sehe da Dinge, die ganz klar strukturelle Probleme sind, da geht es um Abläufe, da geht es um Zuständigkeiten. Da könnte ich durch meine Erfahrung inhaltlich etwas beitragen. Und ich würde sehr gerne häufiger Verbesserungen herbeiführen. Aber dadurch, dass es primär wir FLINTAs sind, die dem Pflegeberuf nachgehen, sind wir oft nicht erwünscht in den Diskursen. Es sind vorrangig Ärzte und Krankenhausvorstände, also häufig Männer, die darüber sprechen, wie sich ein bestimmtes Berufsfeld bzw. ein Bereich entwickeln müsste. Also auch wie beispielsweise Abläufe in meiner Notaufnahme angepasst werden müssen. Wenn Frauen – gesellschaftlich, wie in der Klinik – ernst genommen werden würden und somit auch Care-Arbeiterinnen ein besseres Standing hätten, könnten wir uns diese Plätze an den Tischen einfordern und an den Diskursen teilnehmen. Dadurch hätten wir die Möglichkeit, insbesondere die eigene Sicht, die eigene Erfahrung mit reinzubringen, die aktuell häufig nicht gesehen oder respektiert wird. Ich denke, das ist etwas, was ich gerne ändern würde. Und natürlich auch die Bezahlung. Ich finde es ist ein Unding, dass eine alleinerziehende Krankenpflegerin sich kaum etwas leisten kann, während sie auf der Arbeit den ganzen Tag Menschenleben rettet. Das klingt zwar immer so überspitzt, aber das ist es letzten Endes.

Würdest du deinem Beruf immer noch ausüben in einer Gesellschaft, in der du deiner Tätigkeit ohne jegliche finanzielle Sorgen und Belastung nachgehen könntest? Wäre es die gleiche Gesellschaft, in der wir gerade leben? Wie würde sie aussehen?

Ich habe jetzt zehn Jahre in der Pflege plus Ausbildung, also 13 Jahre in der Pflege auf dem Buckel und ich glaube, diese utopische Gesellschaft wäre vermutlich die einzige, in der ich mir vorstellen könnte, den Job bis zum Ende durchzuführen. Der Job alleine, die Versorgung von Menschen, egal wie anstrengend sie auch manchmal ist, ist definitiv nicht das Problem, sondern die Umstände drumherum. Und in einer Welt, in der diese finanzielle Drucksituation nicht existieren würde, wäre das auf jeden Fall ein Job, den ich gerne weitermachen würde. Für mich ist das ein sehr erfüllender Beruf. Aber dadurch, dass es diese finanziellen Sorgen und die hohe Arbeitsbelastungen gibt, die eben systemisch von oben auferlegt ist, denn Krankenhäuser müssen Gewinne erwirtschaften, – solange das alles existiert, kann ich der eigentlichen Care-Arbeit gar nicht nachgehen, weil diese ja nie der Fokus ist. Es geht nicht mehr darum, den Menschen von A bis Z gut zu versorgen, sondern es geht nur darum, wie kann ich die Person so versorgen, dass ich nicht verklagt werde und gleichzeitig maximalen Profit rausschlage. Das ist immer so dieser feine Grat, auf dem man eigentlich wandelt. Das heißt, genau diese Gesellschaft, ohne finanzielle Drucksituation, sondern mit Fokus auf die Bedürftigkeit unserer Mitmenschen bräuchten wir. Und die würde sicherlich dazu führen, dass wir in der Care-Arbeit und insbesondere in meinem Sektor keine Probleme hätten. Ich bin mir zudem sehr sicher, dass sehr viele Leute den Job ergreifen würden und eben auch bleiben würden, statt nach durchschnittlich 7 Jahren aufgrund von Burnout den Job zu wechseln. Denn ohne finanzielle Sorgen gäbe es natürlich auch weniger Druck, Kolleginnen unterbesetzt arbeiten zu lassen und auszubeuten.

Die letzte Frage ist natürlich ein Brecher. Ich versuche sie einmal mit dem kleinen Blick auf das Krankenhaus zu beantworten. Klar, vieles davon liegt auf der Hand: Das DRG-System muss weg. Die Profitorientierung in den Krankenhäusern muss weg. Aber das geht ja letzten Endes auch nicht weit genug. Ich denke, es braucht eigentlich nicht nur in den Krankenhäusern eine Profitabkehr, sondern es braucht eine Profitabkehr im gesamten Care-Bereich. Und das sind nicht nur Krankenhäuser, Altenheime, ambulante Pflege. Das sind Menschen, die ihre Angehörigen pflegen. Das sind Mütter, die ihre Kinder zu Hause versorgen. Es muss eigentlich – ich kann mir das gar nicht vorstellen ohne – in Richtung Sozialismus gehen, damit wirklich das finanziert wird, was die Menschen brauchen. Und in unserem aktuellen Gesellschaftssystem wird das niemals umgesetzt werden. Solange Konzerne weiterhin nahezu unbesteuert davonkommen, solange Reichtum nicht besteuert wird, solange wir nicht anfangen umzuverteilen – und zwar im massiven Stile – bis dahin wird nicht dafür gesorgt werden, dass auch das letzte kleine Glied in der Kette, nämlich pflegebedürftige Menschen, tatsächlich so gut es eben möglich ist versorgt sind. Und das ist im Grunde das, was wir bräuchten, damit wir uns als Gesellschaft wirklich als human bezeichnen können. Aber ich kann mir keine Welt vorstellen, in der das so ist, weil ich es nie anders gesehen habe und weil das natürlich einen massiven Umbruch bedeuten würde. Natürlich würde ich das gerne irgendwann sehen, aber noch habe ich keine konkreten Vorstellungen, wie das aussehen könnte, fernab von der abstrakten Vorstellung des Sozialismus’.

Interview mit einer Erzieherin

Was bedeutet Care Arbeit für dich?

Für mich bedeutet Care Arbeit alles, was unter „sich sorgen“ fällt. Kindererziehung, Haushalt, Einkauf, kochen, pflegen, etc. Allerdings geht die Care Arbeit über die reine körperliche Fürsorge hinaus. Ein Kind großzuziehen bedeutet z.B. nicht nur es zu füttern, sondern sich auch emotional mit diesem auseinander zu setzen. Ich spreche hier auch nur vom privaten Rahmen. Dazu kommt ja auch noch die Lohnarbeit der wir nachgehen.

Insbesondere Frauen und Queers sind häufig im Care-Bereich tätig, wodurch meistens eine Doppelbelastung entsteht: Care Arbeit im Job und anschließend noch zu Hause. Was würde dich von dieser Doppelbelastung befreien?

Ich selber bin Erzieherin und arbeite mit Kindern von 6 bis 14 Jahren. Jeden Tag setze ich mich also mit den Bedürfnissen dieser auseinander, koche, putze und pflege diese, komme dann nachhause und mache dasselbe dort nochmal. Das ist an manchen Tagen anstrengender als an anderen, aber ich merke schon, dass es emotional anstrengt, vor allem dann, wenn ich frei habe und diese doppelte Belastung für ein paar Tage wegfällt.

Die meisten Kinder kommen mit ihren Problemen auch eher zu weiblichen Erziehenden, weil sie von zuhause aus daran gewöhnt sind, dass die Mutter sich um solche Angelegenheiten kümmert.

Wie wichtig ist deiner Meinung nach Care Arbeit für unsere Gesellschaft und warum?

Wir müssten Kinder dafür sensibilisieren, welche Aufgaben es gibt, ohne dabei nach Geschlecht zu selektieren. Kinder sollten alle Werkzeuge an die Hand bekommen, die es ihnen im späteren Leben ermöglichen, selbstständig und unabhängig leben zu können. Rollenklischees sorgen nur für fehlende Ausbildung in essenziellen Bereichen wie Selbstverpflegung, Auseinandersetzung mit Emotionen und Erziehung. Gleichzeitig sorgen sie bei jungen Mädchen oft dafür, dass diese schon frühzeitig Care-Arbeit leisten, wodurch sie weniger Zeit für Hausaufgaben oder ähnliches haben.

Mir würde es helfen, wenn erwachsene und heranwachsende Männer lernen, nicht nur im Handwerklichen, sondern auch in den emotionalen und pflegenden Aspekten, Verantwortung zu übernehmen. Wenn ein Abendessen gekocht werden soll, muss zum Beispiel vorher eingekauft werden. Das Essen ist schneller fertig, wenn man es zu zweit macht und schneller abgeräumt, wenn mein Partner währenddessen das Kind badet oder bettfertig macht. Erziehung und Haushalt sollte nicht nur an der Frau hängenbleiben, weil sie nicht nur die Frau betrifft.

Hast du das Gefühl, dass du genügend Anerkennung für deine Care Arbeit erfährst? Was würde es für dich bedeuten, wenn deine Care Arbeit gesellschaftlich breitere Anerkennung erfahren würde?

Care Arbeit ist in unserer Gesellschaft sehr wichtig, erfährt allerdings keine bis wenig Anerkennung. Fehlende Anerkennung in Form von guter Bezahlung sorgt für soziale Ungerechtigkeit, Abhängigkeit vom Partner, Benachteiligung in der Bildung und schafft dadurch Armut.

Wenn Frauen, nachdem sie 8 Stunden ihres Tages mit Lohnarbeit verbracht haben, zuhause auch noch den gesamten Haushalt und die Kindererziehung stämmen müssen, ist das für viele Menschen ganz normal und wird nicht hinterfragt. „Das war schon immer so, dass Frauen die Kinder erziehen!“ hört man in solchen Diskussionen sehr oft. Das mag sein, jedoch haben Frauen, als das noch so war, keine 8 Stunden gearbeitet und ein Lohn reichte um den Lebensunterhalt einer Familie zu sichern. Die Zeiten sind also schon lange überholt.

Frauen, die im Sozialen oder Pflege-Sektor arbeiten, werden noch immer belächelt, zu wenig bezahlt und nicht ernst genommen, wenn es um Forderungen, wie bessere Arbeitszeiten oder -umstände geht. Vielen Menschen ist nicht klar, dass unsere Gesellschaft sehr schnell ohne Care-Arbeiter:innen kollabieren würde.

Würdest du deinem Beruf immer noch ausüben in einer Gesellschaft, in der du deiner Tätigkeit ohne jegliche finanzielle Sorgen und Belastung nachgehen könntest? Wäre es die gleiche Gesellschaft, in der wir gerade leben? Wie würde sie aussehen?

Ich liebe meinen Beruf und würde ihm in einer abgewandelten Form wahrscheinlich weiter nachgehen, allerdings wünsche ich mir eine Gesellschaft in der es möglich ist, sich um seine Familie und das eigene Leben kümmern zu können ohne von anderen Menschen abhängig zu sein. Eltern könnten zum Beispiel wenig arbeiten und viel Zeit mit ihrer Familie verbringen. Die Erziehung müsste nicht an Erzieher:innen ausgelagert werden. Ich würde dann eher eine beratende Rolle spielen oder eine zusätzliche Hilfe für Eltern sein.

Interview mit einer Mutter

Was bedeutet Care Arbeit für dich?

Care Arbeit bedeutet für mich Arbeit, in welcher ich mich um eine oder mehrere andere Person kümmere, da diese krank oder anderweitig unfähig sind, sich allumfassend um sich selbst zu kümmern. 

Insbesondere Frauen und Queers sind häufig im Care-Bereich tätig, wodurch meistens eine Doppelbelastung entsteht: Care Arbeit im Job und anschließend noch zu Hause. Was würde dich von dieser Doppelbelastung befreien?

In meinem Fall gibt es glücklicherweise diese Doppelbelastung nicht. Allerdings habe ich als Mutter auch keinen Feierabend. Ich kümmere mich 24/7 um mein Kind, 7 Tage die Woche.

Wie wichtig ist deiner Meinung nach Care Arbeit für unsere Gesellschaft und warum?

Sie ist essenziell, da es immer Menschen geben wird, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Covid hat es gezeigt. Care-Jobs waren wortwörtlich systemrelevant. Im Falle des Elternseins empfinde ich die emotionale und physische Verfügbarkeit der Eltern für ihre Kinder als extrem wichtig. Doch leider sind die meisten Eltern auf zwei Gehälter angewiesen und somit gezwungen, die Kinder in Einrichtungen zu geben. Hier in den USA kommen Kinder teilweise bereits mit 3-6 Wochen in die Betreuung.

Hast du das Gefühl, dass du genügend Anerkennung für deine Care Arbeit erfährst? Was würde es für dich bedeuten, wenn deine Care Arbeit gesellschaftlich breitere Anerkennung erfahren würde?

Aktuell lebe ich in den USA. Hier ist das Konzept SAHM (stay at home mom – mutter die zuhause bleibt) sehr anerkannt und geschätzt. Ich bekomme regelmäßig Komplimente dafür, dass ich mich so intensiv um meine Tochter kümmere und mir wird immer wieder gesagt, wie wertvoll all das ist. In Deutschland waren die Reaktionen mMn gemischter. Es wird schon oft gefragt, wann man denn wieder in den Job zurückkehrt, es wird sich über die “Sozialisierung” der Kinder gesorgt etc. Es wäre für mich einfach ein schönes Gefühl, so wie es hier in den USA eben ein schönes Gefühl ist, so viel Anerkennung für das SAHM-Konzept zu bekommen. Ich habe den Eindruck, dass die Arbeit dahinter hier mehr gesehen und gewertschätzt wird. Häufig werde ich darauf angesprochen, wie anspruchsvoll und anstrengend es ist, sich für diesen Weg zu entscheiden. Es tut gut, dass jemand die harte Arbeit hinter all dem er- und anerkennt. Dennoch kann ich mir von dieser Anerkennung am Ende des Tages auch nichts kaufen. Ich erinnere an das „vom Balkon klatschen“….

Würdest du deinem Beruf  immer noch ausüben in einer Gesellschaft, in der du deiner Tätigkeit ohne jegliche finanzielle Sorgen und Belastung nachgehen könntest? 

Ich bin in der sehr privilegierten Situation, nicht arbeiten gehen zu müssen. Ich weiß aber von genügend Eltern, die sich wünschen würden, mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können und nicht so schnell wieder arbeiten zu müssen. Trotzdessen, dass wir uns unser Leben mit nur einem Gehalt leisten können, ist es manchmal belastend, über kein eigenes Einkommen zu verfügen, obwohl man ja trotzdem so viel “arbeitet” – nur eben unentgeltlich. Durch die Zeit zu Hause entsteht natürlich auch eine “Lücke” im Lebenslauf. Mein Mann bildet sich weiter und macht Karriere, während ich zu Hause bin. Wenn ich dann wieder ins Arbeitsleben zurück möchte oder sogar muss, wird es für mich schwieriger sein, einen gleichwertig gut bezahlten Job wie seinen zu bekommen. Somit begebe ich mich durch dieses Konzept in eine gewisse Abhängigkeit. Langfristig kann mich diese Entscheidung im Bezug auf meine Karriere und entsprechende Verdienstmöglichkeiten benachteiligen. Außerdem habe ich viele Freundinnen (nein, ohne Gendersternchen), die in der Pflege arbeiten und unter der schlechten Bezahlung leiden und sich zum Beispiel bei bestimmten Organisationen erst gar nicht bewerben, da sie wissen, dass die Gehälter einfach unterirdisch sind. Ich kann mir vorstellen, dass einige von ihnen nur halbtags arbeiten würden, wenn es keine finanziellen Sorgen gäbe.

Wäre es die gleiche Gesellschaft, in der wir gerade leben? Wie würde sie aussehen?

Ich glaube, würde Care-Arbeit besser bezahlt und mehr anerkannt werden, würden mehr Menschen Berufe in diesem Feld wählen. Wenn man so eng mit Menschen zusammenarbeitet, gibt es praktisch keine Pausen, man kann auch nicht einfach mal einen “schlechten Tag” haben oder “langsamer machen”. Die anderen brauchen einen immer und zu jeder Zeit, man muss bereitstehen und funktionieren. Auch als Mutter sind die Bedürfnisse des Kindes immer an erster Stelle. Das kann sehr belastend sein und die  Tatsache, dass diese Berufsfelder so schlecht bezahlt (und das Mutter- & Hausfrauendasein gar nicht bezahlt) werden, macht es noch schlimmer. In einer Gesellschaft, in der Care-Arbeit fair entlohnt wird, gibt es mehr Menschen, die diesen Jobs gerne nachkommen. Ich glaube, viele Leute empfinden das intrinsische Bedürfnis, anderen zu helfen und sich um sie zu kümmern. Ich glaube, in solch einer Gesellschaft würden mehr Leute nur halbtags arbeiten, da die Arbeit sehr fordernd ist und es notwendig ist, sich davon auch wieder zu erholen, um nicht in ein Burnout zu rutschen. Außerdem würden sich vermutlich mehr Menschen dazu entscheiden, länger mit ihren Kindern zu Hause zu bleiben bzw. grundsätzlich erst einmal Kinder zu bekommen – denn Kinder sind teuer und viele können und wollen sich einfach keine Kinder mehr leisten.

Interview mit einer Sozialarbeiterin

Was bedeutet Care Arbeit für dich?

Care Arbeit ist für mich die Beschäftigung mit dem Kind und um das Kind (zB Kontakt zu Betreuungspersonen, FreundInnen, Überblick über Arztbesuche) sowie die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, die anfallen. Die Care Arbeit hat auch Einfluss auf meine Erwerbsarbeit. Es macht einen Unterschied, ein Kind zu haben. Ab Beginn der Schwangerschaft ging ich ins Beschäftigungsverbot und war anschließend etwa 2 Jahre mit meinem Kind zu Hause und habe dort unbezahlte Care Arbeit geleistet. Das hatte Einfluss auf meine und uns zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Jetzt bin ich während der Erwerbsarbeitszeit für mein Kind oder die betreuende Person abrufbar. Auch meine Arbeitsstelle kann ich aufgrund der Betreuungszeiten nicht so frei wählen, wie ich es gerne hätte.

Insbesondere Frauen und Queers sind häufig im Care-Bereich tätig, wodurch meistens eine Doppelbelastung entsteht: Care Arbeit im Job und anschließend noch zu Hause. Was würde dich von dieser Doppelbelastung befreien?

Von der Doppelbelastung würde mich natürlich befreien, ein höheres Gehalt zu bekommen. So könnte ich in Ruhe in Teilzeit arbeiten und genug Zeit zu Hause zum Auftanken und die dort anfallende Care Arbeit haben. Eine Schwierigkeit, die mir als Teilzeitkraft jedoch auffällt ist, dass mehr Arbeitskräfte gebraucht werden. Da diese aber nicht da sind, mache ich häufig auch mehr auf der Erwerbsarbeit oder arbeite zu Zeiten, die nicht so gut in das Zeitmanagement meiner Familie passen.

Wie wichtig ist deiner Meinung nach Care Arbeit für unsere Gesellschaft und warum?

Care Arbeit ist mit eine der wichtigsten Arbeiten unserer Gesellschaft, weil sie die Erziehung der Menschen unserer Gesellschaft beinhaltet. Für jedes einzelne Baby, Kind und irgendwann Erwachsenen ist es so wichtig, Urvertrauen und starke, sichere Bindungen zu ihren Bezugspersonen aufzubauen. Hierbei sage ich beabsichtigt nicht “Eltern” oder “Mutter”, da es nur notwendig ist, dass ein Kind eine starke Beziehung zu einer Person hat. Häufig wird in diesem Kontext nur die Mutter genannt, das empfinde ich aber als eine zu große Pflicht, als dass sie an nur einer Person hängt. Das Urvertrauen und die Beziehungsfähigkeit haben Auswirkungen auf das ganze Leben eines jeden einzelnen Menschen. Es wäre schön, wenn jeder Care gebende Mensch ohne finanziellen Druck und Verurteilung der Gesellschaft mit ganz viel Liebe und Zeit die Kinder begleiten könnte.

Interessant ist ja, dass Care Arbeit häufig nicht als Arbeit per se anerkannt wird, aber vorausgesetzt wird, dass diese Arbeit immer und selbstverständlich ausgeführt wird. Weil es notwendig ist, Kinder großzuziehen. Und das machen meistens die Frauen oder Queers, und wenn sie das nicht tun, „zu kurz“ tun oder äußern, dass es schwer ist, wird das meist von Außenstehenden verurteilt. Ich habe das Glück, dass die Care Arbeit von meinem Mann und mir, von den meisten Menschen um uns herum anerkannt und Hilfe angeboten wird.

Nach der Elternzeit hatte ich große Sorge vor der Doppelbelastung und verspürte großen Druck, nun mehr auf der Erwerbsarbeit leisten zu müssen. Erfahrungsgemäß fallen Eltern häufiger wegen krankem Kind aus, haben kürzere Arbeitszeiten etc.

Zum Glück bin ich jedoch auf offene Ohren auf meiner Arbeitsstelle und speziell im Team gestoßen. Mütter mit erwachsenen Kindern erzählten mir immer wieder, dass sie gerne länger bei ihren Kindern geblieben wären und sich öfter kindkrank gemeldet hätten, um ihre Kinder zu begleiten. Und das nimmt den Druck für mich immens raus, auch wenn ich weiß, dass das sicherlich nicht bei jeder Erwerbsarbeitsstelle so offen und gut kommuniziert wird.

Hast du das Gefühl, dass du genügend Anerkennung für deine Care Arbeit erfährst? Was würde es für dich bedeuten, wenn deine Care Arbeit gesellschaftlich breitere Anerkennung erfahren würde?

Würde Care Arbeit größere Anerkennung erfahren, würde ich mir wünschen, dass die Schwere der Care Arbeit anerkannt wird. Care Arbeit ist nicht gleich Care Arbeit, jede Familie steht vor anderen Herausforderungen. Bei manchen „laufen die Kinder einfach nebenher“, aber diese Familien haben vielleicht noch Eltern, die sie pflegen. Manche Familien haben High-Need Babys und müssen sehr viel koregulieren und haben kaum Kapazität den Haushalt zu schmeißen. Körperliche Behinderungen, psychische Erkrankungen oder Geldsorgen, die Organisation von vielen Kindern und ihren Freizeitaktivitäten etc. Es wäre schön, wenn diese Diversität gesehen wird und die Entscheidungen, die aufgrund dieser Herauforderungen entstehen, akzeptiert werden.

Würdest du deinem Beruf  immer noch ausüben in einer Gesellschaft, in der du deiner Tätigkeit ohne jegliche finanzielle Sorgen und Belastung nachgehen könntest? 

Meinen Beruf würde ich definitiv weiterhin ausüben, auch wenn ich keine finanziellen Sorgen hätte. Ich freue mich, mich weiterbilden zu können, sowie in Kontakt mit Klient:innen zu treten und deren Lebensgeschichten zu erfahren. Ich wachse dadurch nicht nur als Mensch, sondern auch als Mutter. Genauso, wie meine Mutterrolle einen Einfluss auf meine sozialarbeiterische Arbeit genommen hat.

Mein Kind profitiert ebenso von der Betreuung, weil es dort Erfahrungen sammeln kann und Dinge erlebt, die es nur mit mir oder meinem Mann nicht geben würde. Würde ich jedoch gar keine finanzielle Last haben, würde ich weniger Stunden arbeiten, um der im Privaten anfallenden Care Arbeit entspannter nachzugehen und mir auch etwas mehr Zeit für mich zum Aufladen zu gönnen.

Wäre es die gleiche Gesellschaft, in der wir gerade leben? Wie würde sie aussehen?

Ich denke die Gesellschaft würde schon anders aussehen. Es wäre natürlich utopisch, aber flexiblere Arbeitszeiten, eine bessere Bezahlung, keine Verurteilung von insbesondere Müttern die früh, spät oder eben gar nicht mehr in die Erwerbsarbeit einsteigen. Es müsste auch ein Selbstverständnis sein, dass auch ein Vater Care-Arbeit übernimmt.

Interview mit einer Altenpflegerin

Was bedeutet Care Arbeit für dich?

Für mich bedeutet Care Arbeit, mich um das Wohlbefinden der Menschen um mich herum zu bemühen und dort Hilfestellungen zu leisten, wo Selbstpflegedefizite bestehen – im Privatleben sowie im Beruf. Beruflich lässt sich Care Arbeit ganz gut mit einer Pflegetheorie von Monika Krohwinkel (deutsche Pflegewissenschaftlerin und ehem. Professorin für Pflege) definieren. Sie beschreibt die „Abedl“ (Die Aktivitäten, soziale Beziehungen und existenzielle Erfahrungen des Lebens). Das berufliche Verständnis von Care Arbeit ist für mich, Pflegeempfänger in den Abedl‘s zu unterstützen, Ressourcen zu fördern und Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Die Theorie nach Krohwinkel ist deutschlandweit einheitlich Basis für das „Erlernen“ von Pflege. Also sowohl in der Altenpflege als auch in der Krankenpflege. Da geht es um die banalsten Dinge wie „sich kleiden“ oder Präferenzen bei der Körperpflege, bis zu Pflegebedarfen, Hilfsmitteln und Sterbephasen.

Insbesondere Frauen und Queers sind häufig im Care-Bereich tätig, wodurch meistens eine Doppelbelastung entsteht: Care Arbeit im Job und anschließend noch zu Hause. Was würde dich von dieser Doppelbelastung befreien?

Von der Doppelbelastung werde ich, so wie ich vermute, nie vollständig befreit sein.  

Selbstverständlich wäre ein Partner, mit dem ich mir alle Aufgaben die im Haushalt anfallen, teilen kann, eine große Entlastung, aber das klassische gesellschaftliche Rollenbild der Frau, die sich um Haushalt, Mann und Kinder kümmert, hat sich zumindest bei mir sehr manifestiert. Zum einen wurde es mir so vorgelebt, zum anderen spielen kulturelle Faktoren eine große Rolle. Klar, die gesellschaftliche Erwartungshaltung an die Frau, was Haushalt, Kindererziehung etc. betrifft ist rückläufig, allerdings oft auch nur in Großstädten und in Kreisen mit höheren Bildungsabschlüssen. Ich weiß nicht, ob ich mich je vollständig von der Idee lösen kann, dass ich als Frau einen größeren Teil der Fürsorge für meine Familie trage und die Hauptaufgaben im Haushalt in meinen Verantwortungsbereich fallen.

Wie wichtig ist deiner Meinung nach Care Arbeit für unsere Gesellschaft und warum?

Care Arbeit ist essenziell für mich. Sie schafft überhaupt erst Raum und Zeit, um dem Beruf und anderen Tätigkeiten nachgehen zu können. So richtig klar wurde mir das erst während der Pandemie.

Mit dem eingeschränkten Betrieb von z.B. Kindergärten und Schulen ist ein Großteil der Aufgaben auf die Eltern zurückgefallen. Das Resultat war Überforderung, Anstieg der häuslichen Gewalt und Zusammenbruch von familiären Systemen. Durch meinen Beruf in der Stationären Kurz- und Langzeitversorgung erlebe ich regelmäßig welche Konsequenzen defizitäre Care Arbeit haben kann. Natürlich bin ich eher mit den Extremfällen konfrontiert, aber diese existieren nunmal und das nicht selten. Sie resultiert häufig in Verwahrlosung, psychischer und physischer Krankheit bis hin zum Tod.

Hast du das Gefühl, dass du genügend Anerkennung für deine Care Arbeit erfährst? Was würde es für dich bedeuten, wenn deine Care Arbeit gesellschaftlich breitere Anerkennung erfahren würde?

Ich denke ich spreche für jede im sozialen Bereich tätige Person, wenn ich behaupte, dass der beruflichen Care Arbeit statt mit Anerkennung häufig mit Abwertung begegnet wird.

Den Grundgedanken dahinter verstehe ich, es handelt sich um Berufe, deren Aufgabenbereiche in Kategorien fallen, denen viele Menschen, häufiger Frauen, tagtäglich ohne einen wirtschaftlichen Erlös nachgehen. Kinder erziehen, Erkrankte pflegen, kochen, putzen, etc.

Wenn man keine unmittelbaren Berührungspunkte mit diesen Berufsgruppen hat, ist es für viele schwer nachvollziehbar, was für eine anspruchsvolle Arbeit hinter der Professionalisierung dieser Aufgaben steckt.

Gepaart mit mangelhaften Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung, erzeugt das nach Außen natürlich ein Bild von Arbeit, die ja gar nicht so wichtig sein kann, auch wenn dem selbstverständlich nicht so ist.

Den Ursprung dieser fehlenden Anerkennung sehe ich bei unserer problematischen Politik, die diese Umstände zulässt und damit all diese wichtigen Berufe in ein entsprechendes Licht rückt.

Sorgearbeiten, die im häuslichen Umfeld ausgeführt werden, erfahren meiner Meinung nach noch weniger Anerkennung, da hier auch noch der wirtschaftliche Profit wegfällt. Im Gegenteil entstehen zusätzlich noch finanzielle Belastungen für den Einzelnen und trotz all der Aufklärungsarbeit besteht weiterhin der Irrglaube, dass viele dieser Aufgaben zum „Frau-sein“ dazugehören.

In erster Linie würde es für mich bedeuten, mich für meine Berufswahl nicht mehr rechtfertigen zu müssen. Nicht ständig Vorurteilen ausgesetzt zu sein und frei von dem Gefühl zu sein, meine Arbeit sei ersetzbar und anspruchslos.

Würdest du deinem Beruf  immer noch ausüben in einer Gesellschaft, in der du deiner Tätigkeit ohne jegliche finanzielle Sorgen und Belastung nachgehen könntest? 

Nein. Auch wenn ich durch meinen Beruf viele prägende und unbezahlbar schöne und dankbare Momente erlebe, würde ich mich kein zweites Mal für einen Beruf im Care-Bereich entscheiden, vor allem nicht, im oben beschriebenen Szenario.

Ich würde eine Tätigkeit wählen, bei der ich mich nicht erst beweisen muss, um Anerkennung zu erlangen.

Die immense Arbeitsbelastung, die man regelmäßig über das Dienstende hinaus mit sich trägt, der Druck, den man von Vorgesetzten aber auch Angehörigen erlebt, die hohe Verantwortung, die mit der Versorgung von erkrankten Pflegeempfängern einhergeht, die körperliche Belastung, das „Alleine gelassen werden“ mit emotional belastenden Situationen, die Personalsituation und die mangelhaften Umstände wirken sich bereits nach kurzer Zeit sehr negativ auf meine körperliche und mentale Gesundheit aus und überschatten all die positiven Aspekte, die einst Anlass für mich waren, einen Beruf in der Pflege zu erlernen.

Alle genannten Punkte machen es einem fast unmöglich, nach bestem Wissen und Gewissen zu arbeiten. Meine Arbeit fühlt sich häufig nach Schadensbegrenzung an, statt nach professioneller und evidenzbasierter Pflege.

Wäre es die gleiche Gesellschaft, in der wir gerade leben? Wie würde sie aussehen?

In einer Gesellschaft in der Menschen ihren Beruf ohne finanzielle Motivation wählen, gäbe es wesentlich mehr kreative Köpfe, die ihre Persönlichkeit in jeglicher Form von Kunst ausdrücken könnten und sich insgesamt beruflich freier entfalten könnten.

Neben den damit einhergehenden positiven kulturellen Einflüssen, wäre ein Großteil der Gesellschaft sorgloser und glücklicher mit sich selbst und der Art der eigenen Lebensführung, was natürlich erhebliche positive Einflüsse auf die physische und psychische Gesundheit hätte.

Ein nicht unwesentlicher Teil unserer Gesellschaft geht tagtäglich, systemgeschuldet und angetrieben von existenziellen Sorgen, trotz versehrter Gesundheit weiter einer Arbeit nach, die nicht persönlich erfüllend ist, sondern eben nur den Zweck des Broterwerbs erfüllen soll.

Diesem, in meinen Augen besorgniserregenden Problem, wäre damit sicherlich effektiv entgegengewirkt.

Dennoch würden viele essentielle Berufe wegfallen, da sich kein Personal mehr finden würde und andere, nicht vorhersehbare Probleme würden entstehen.

Mir persönlich fällt es schwer, mich gedanklich in so eine Utopie zu begeben, da ich mich zur Zeit sehr gefangen fühle, in einer Spirale aus Arbeit, Existenzsicherung, Bewältigung des Alltags und Erhaltung meiner eigenen Gesundheit.

Interview mit einer Hebamme

Was bedeutet Care Arbeit für dich?

Was bedeutet Care Arbeit für mich? Für mich ist Care Arbeit eigentlich ein Kümmern, ein Versorgen und meistens eigentlich unbezahlt. Dabei kann es sich durchaus um ein Kümmern von Kindern handeln, um Alte oder auch kümmern um Minderheiten oder vulnerable Personenkreise. Das ist für mich die Bedeutung von Care Arbeit und meistens eben schlecht oder gar nicht bezahlt.

In meinem Umfeld begegnet mir die Care Arbeit ständig. Ich bin umgeben von Müttern, Pflegenden, Angehörigen, von Ehrenamtlichen, die sich um Geflüchtete kümmern. Und wenn ich jetzt genauer hinschaue, stelle ich schon fest, dass es fast immer Frauen sind. Es ist fast immer so, dass die Frau entweder eine Ganztags- oder Teilzeitstelle hat und sich zusätzlich um die Kinder kümmert. Dass es die Frau ist, die sich um zu pflegende Angehörige kümmert, dass es ehrenamtliche Frauen sind, die in Geflüchteteneinrichtungen arbeiten, neben ihrer Arbeit auch noch Unterstützung bei Anträgen anbieten oder so Sachen in der Art machen. Es gibt noch immer nur wenige Väter, die Care Arbeit leisten, sprich die, die Kinder für die Schule fertig machen, die bei den Kindern zu Hause bleiben, wenn sie krank sind, die die Fahrten übernehmen zum Flöten oder in die Turnstunde. Und meistens sind es tatsächlich auch die Frauen, die die Angehörigen pflegen, die Eltern oder Großeltern, die zum Pflegefall geworden sind.

Meine Arbeit als Hebamme hat mehrere Komponenten, einmal die rein medizinische Überwachung des Wochenbettverlaufs, zu schauen, ob die ganzen medizinischen Vorgänge nach der Geburt bei der Mutter regelgerecht ablaufen, die Entwicklung in den ersten Wochen und Monaten beim Kind mitbegleiten und schauen, ob irgendwelche Pathologien auftreten, etc. Aber natürlich ist auch ein großer Bestandteil meiner Arbeit eben die sogenannte Care Arbeit, nämlich das in den Arm nehmen, das Trösten, bei Krisen unterstützen. Wenn es in der Beziehung der jungen Eltern nicht gut läuft oder wenn das Baby viel weint und es keinen medizinischen Grund dafür gibt, die Eltern aber trotzdem auf dem Zahnfleisch gehen. Dass man eben versucht zu ermutigen und ich ganz viel eigene Kraft in meine Arbeit stecke, um die Eltern eben aufzubauen. Da ist es natürlich Energie, die ich aufbringen muss, damit ich sie den Müttern oder Eltern geben kann. Diese Energie geht dann weg und die fehlt mir dann natürlich. Und das ist, vor allem mental, viel viel anstrengender als meine rein medizinisch fachliche Arbeit, die ich leiste. Ich habe viel Erfahrung gesammelt und dadurch gelernt, oft nur mit wenigen Blicken zu sehen: ist in der Familie, bei der Entwicklung des Kindes und bei der Erholung der Mutter alles in Ordnung? Hat sie irgendwelche Auffälligkeiten? Das ist mental nicht anstrengend, aber die Carearbeit, eben das Trösten, das immer wieder hingehen, immer wieder zuhören, das ist schon richtig anstrengend. 

Insbesondere Frauen und Queers sind häufig im Care-Bereich tätig, wodurch meistens eine Doppelbelastung entsteht: Care Arbeit im Job und anschließend noch zu Hause. Was würde dich von dieser Doppelbelastung befreien?

Wie ich schon bei der ersten Frage beantwortet habe, leiste ich Care Arbeit in meinem Beruf. Neben der rein medizinischen Tätigkeit leiste ich ebenfalls Care bei mir zu Hause. Meine Care Arbeit zu Hause sieht nicht mehr so aus wie die von jungen Müttern, die Kinder zu versorgen haben, das habe ich jetzt nicht mehr. Ich kümmere mich ehrenamtlich um Geflüchtete und ich habe zu pflegende Angehörige – Meine Situation ist eine andere. Da ich in keiner festen Partnerschaft bin, muss ich diese Care Arbeit alleine leisten. Im Beruf sowieso, weil es mein Job ist. Ich habe Enkelkinder zu betreuen, eine ukrainische Familie bei mir wohnen, dazu eine Tante, die pflegebedürftig geworden ist und kurzfristig ganz schnell sehr viel Hilfe brauchte, weil sie selber alleinstehend ist und weder Mann noch Kinder hat. Eine Entlastung wäre für mich, wenn mein Job besser bezahlt werden würde, dann müsste ich nicht so viel arbeiten. Dazu könnte ich die Arbeit und das, was zu Hause noch anfällt, besser unter einen Hut kriegen. Ich würde für die gleiche Arbeit mehr Geld bekommen und könnte dann meine ehrenamtlichen Tätigkeiten mit einem besseren Gefühl machen, weil ich nicht Angst haben muss, dass, wenn ich zu viel Zeit für die Tante oder für die Geflüchteten investiere, dass mir dann das Geld am Ende vom Monat ausgeht, dass es mir nicht reicht. 

Bezahlt zu werden für Care zu Hause, sprich für Kindererziehung, für Enkel hüten, für die ganzen Sachen, die man natürlich selbstverständlich ehrenamtlich macht, wäre natürlich auch super. Aber wer soll es bezahlen? Sollen meine Kinder mich dafür bezahlen, dass ich meine Enkelkinder hüte? Die Ukrainer können nicht bezahlen dafür, dass ich sie bei den Anträgen unterstütze. Ja, ich denke auf jeden Fall, das ist nichts Neues, dass die ganzen sozialen Berufe einfach zu schlecht bezahlt werden, dass man eben nicht sagen kann: okay, ich mache einfach nur eine Halbtagsstelle und habe dann noch genügend Zeit und kann mit gutem Gefühl die ganzen anderen Sachen machen, die eben auch noch anfallen in einer Paarbeziehung. Wenn eben ein, zwei Partner in einer Beziehung sind, die sowohl Geld verdienen als auch Arbeit leisten können, sollte es selbstverständlich sein, dass man immer so viel verdient, dass beide sich eine Teilzeitstelle leisten können und das trotzdem reicht, um eine Familie zu ernähren.

Wie wichtig ist deiner Meinung nach Care Arbeit für unsere Gesellschaft und warum?

Ich glaube, dass Care Arbeit in unserer Gesellschaft sehr wichtig ist. Weil Care “to care” heißt, sich kümmern, sorgen, versorgen. Also dass man sich um Menschen kümmert, die es brauchen und jeder braucht es. Jeder braucht jemanden, der sich um ihn kümmert. Das kann der Partner oder die Partnerin sein. Die, um die man sich mal kümmern muss, warum auch immer, weil die Situation so ist. Es sind Kinder, um die man sich kümmern muss, es sind Alte und es sind Menschen mit Behinderungen, um die man sich kümmern muss. Und ich will auch, dass sich jemand um mich kümmert. Deswegen glaube ich, dass Care Arbeit in unserer Gesellschaft ganz wichtig ist, denn sonst könnte man ja einfach ein Regalsystem entwerfen, wo Individuen aufbewahrt werden. Dann muss man sich nicht um die kümmern, sondern nur gucken, dass ihnen nichts passiert. Also jetzt Kinder zum Beispiel, alte Menschen, Menschen mit Behinderungen. Kümmern heißt liebevoller Umgang. Und das ist eben was anderes als irgendwo abstellen und dann wieder abholen. 

Hast du das Gefühl, dass du genügend Anerkennung für deine Care Arbeit erfährst? Was würde es für dich bedeuten, wenn deine Care Arbeit gesellschaftlich breitere Anerkennung erfahren würde?

Zu Corona Zeiten war es so, dass die Leute auf dem Balkon standen und für Carearbeiter:innen geklatscht haben. Das ist keine Anerkennung. Geklatscht haben alle die, die keine Care Arbeit geleistet haben. Die Leute, die diese Arbeit leisten, können mit so einer Anerkennung, oder mit so einer vermeintlichen Anerkennung, überhaupt nichts anfangen. Es gibt ihnen nicht mehr Zeit für den Rest ihrer Interessen, vor allem aber gibt es ihnen nicht mehr Geld. Eine wichtige Form der Anerkennung ist eben die Bezahlung und solange Leute, die diese Arbeit leisten, schlecht bezahlt werden, fehlt die Anerkennung.

Interview mit Prof. Dr. Sabrina Schmitt

Aurora: Es liegt zwar nahezu auf der Hand, dennoch finden wir es wichtig an dieser Stelle auch auf das Thema „Gender“ einzugehen. Denn es ist nach wie vor v.a. feministische und queere Forschung, die sich mit den verschiedenen Aspekten von Sorge-Arbeit beschäftigt. Das scheint auch nachvollziehbar, sind es doch v.a. FLINTAs, die den Hauptteil dieser Verantwortung sowohl im Privaten als auch im Lohnarbeitsbereich übernehmen. Ist Verantwortungsübernahme für Mitmenschen und somit Care-Arbeit also eine Frage von Gender?

Sabrina Schmitt: Die Übernahme von bezahlter wie unbezahlter Care Arbeit von überwiegend FLINTA Personen liegt in der Konstruktion von Weiblichkeit begründet, d.h. zum einen darin, dass wir ein Bild von Weiblichkeit haben, in dem Frauen oder weiblich gelesenen Personen zugeschrieben wird, dass sie für Care Arbeit besser geeignet sind. Das heißt, wir haben ein Verständnis von Weiblichkeit, das assoziiert wird mit Emotionalität, kommunikativem Austausch, Empathie und der Orientierung weiblicher Bedürfnisse an anderen. Und diese Assoziation von Weiblichkeit mit diesen Eigenschaften, die eben auch zentral für Care Arbeit sind, die führt dazu, dass sich FLINTAs im Aufwachsen, wie im Erwachsenenleben tendenziell zuständiger fühlen für Care Arbeit. Das heißt, wir haben auf der einen Ebene Geschlechterkonstruktionen, die eine bestimmte Verantwortungsübernahme nahelegen und es so erscheinen lassen, als sei es das Sinnvollere, weil die Eignung vermeintlich qua Geschlecht eine bessere für Care Arbeit sei. 

Ich nehme als Beispiel einmal den Mutterinstinkt, weil es sehr eindrücklich ist. Wir haben also eine Idee von einer Person, die ein Kind auf die Welt bringt und die aufgrund ihres Geschlechts, also aufgrund der Tatsache, dass sie eine Vulva und ein bestimmtes Hormon-Setup hat, in irgendeiner Weise instinktiv zu wissen scheint, was ihr Kind braucht. Wir schreiben dies nicht der Tatsache zu, dass es vor allem Mütter sind, die sich eben sehr früh, sehr ausgiebig mit dem Kind beschäftigen, weil sie viel zu Hause sind. Wir schreiben es der Tatsache zu, dass sie vermeintlich biologisch dafür aufgesetzt sind. Und das ist schlichtweg empirisch nicht der Fall. Es ist nicht so, dass ich, nur weil ich ein Kind gebäre, spezifische Antennen entwickle, um dieses Kind zu versorgen. Sondern es geht hier ganz klar um eine Idee, die besagt, es gäbe qua Geschlecht eine wie auch immer geartete besondere Sensibilität für die Anforderungen von einem schreienden Säugling. 

Diese (Selbst-)Zuschreibung einer gewissen fast schon spirituellen Fähigkeit von Frauen und Müttern, sich in ihre Kinder hineinversetzen zu können, ist unheimlich wirkmächtig. Wir vollziehen diese Zuschreibung immer wieder und reproduzieren damit also immer wieder das Narrativ, es gäbe eine geschlechtsspezifische Eignung von bestimmten Personen, sich um bspw. Kinder zu kümmern. Das entspricht empirisch nicht der Realität. 

Hier zeigt sich jedoch in besonderer Weise, wie sich diese Zuschreibung auch auf den Lohnarbeits-Sektor ausweitet, denn diese Verschränkung von Geschlecht und Care-Arbeit haben wir im bezahlten, wie auch unbezahlten Bereich. Es gibt Studien zur Berufswahl von jungen Menschen, die eine klare Aufteilung zwischen den Geschlechtern und den jeweils gewählten beruflichen Tätigkeitsfeldern darlegt. So neigen weiblich gelesene Personen tendenziell eher zu care-orientierten Berufen und männlich gelesene eher zu technischen Berufen. Dabei wird angenommen, dass weiblich gelesen Personen diese Wahl auch treffen, weil sie annehmen, dass Pflege-Berufe Fähigkeiten erfordern, die ihnen nahezu “natürlich” lägen. Dass FLINTAs diese Anforderungen jedoch nicht qua Geschlecht besser erfüllen, sondern weil sie dazu sozialisiert wurden, hängt stark mit diesen Weiblichkeitskonstruktionen und dieser Idee der “sorgenden Frau” zusammen. 

Diese Idee hat jedoch eine folgenschwere Konsequenz: Denn wenn FLINTAs qua Geschlecht besser für Care-Arbeit geeignet sind, wird diese “Eignung” im Umkehrschluss der Idee von Männlichkeit abgesprochen. Nehmen wir ein Beispiel aus der frühkindlichen Pädagogik. Es ist vielfach üblich, dass männliche Fachkräfte aufgrund von abstrakt-generellen Bedenken der Eltern nicht wickeln. An diesem Beispiel zeigt sich, dass Sorgetätigkeit nicht nur nicht mit allgemeinen Männlichkeitskonstruktionen in Einklang gebracht werden kann, sondern dass das Ausüben von gewissen Sorgetätigkeiten durch Männer in gewissen Kontexten sogar als potentielle Gefahr für Kinder gedeutet wird. Daran wird sehr deutlich, wie wirkmächtig die Verknüpfung von Care-Arbeit mit Weiblichkeit auch umgedreht ist, weil Sorge-Arbeit Männern – ebenfalls qua ihres Geschlechts – nicht zugetraut oder als unvereinbar mit Männlichkeit wahrgenommen wird. Fürsorge, Empathie, Verantwortungsübernahme – auch für das Wohlsein der Menschen um uns rum – wird also mit Männlichkeitskonstruktionen nicht verknüpft. Das heißt, auf der Ebene haben wir eine Verantwortungsübernahme von FLINTA-Personen, weil ihnen eine gewisse Befähigung dazu zugeschrieben wird. 

Parallel zu diesen Geschlechterkonstruktionen und ihrem Einfluss auf unserer Sozialisation haben wir eben auch eine Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt, also eine in dieser Konstruktion begründet liegende unterschiedliche Arbeitsmarktpartizipation. Wir haben also zum einen FLINTA, die innerhalb sogenannter SAHGE-Berufen (Soziale Arbeit, Haushaltsnahe Dienstleistungen, Gesundheit und Pflege sowie Erziehung und Bildungsarbeiten) die Mehrheit darstellen, also in einem Arbeitsfeld, das zwar eine relativ hohe Burnout-Rate hat, jedoch zeitgleich gut mit einer Teilzeit-Beschäftigung in Einklang gebracht werden kann, sollte eine private Sorgeverantwortung hinzukommen. Und wir haben natürlich einen Gender Pay Gap, also eine geschlechtsspezifische Lohnlücke, die sich auch aus dieser Zuschreibung ergibt, die auch dafür sorgt, dass Personen weniger verdienen und dann auch eher zum Beispiel mal zu Hause bleiben. 

Wenn es zum Beispiel keinen Kitaplatz gibt, dann entscheidet häufig die Frage, wer am meisten Geld nach Hause bringt, darüber, wer zuhause die Kinder versorgt. Und wenn eine Person in einem sogenannten sozialen Bereich arbeitet und deswegen weniger verdient oder ohnehin in Teilzeit arbeitet, dann wird auch eher mal entschieden: Na, dann bleibst du noch das Extrajahr zu Hause, weil dein Einkommen niedriger ist. Das nennt man dann Opportunitätskosten, es kostet uns als Familie quasi weniger, wenn wir dein Einkommen verlieren. Und das führt dann mit zur strukturellen Benachteiligung.

Hier geht es nicht nur um individuelle Entscheidungen, die quasi auf dieser Geschlechterkonstruktion fußen, sondern auch um eine strukturelle Benachteiligung, natürlich von FLINTA, die dann auch dazu führt, dass sie eher die unbezahlte familiale Carearbeit in der sogenannten privaten Sphäre übernehmen. Dass liegt auch daran, dass der Arbeitsmarkt oder die Teilhabe an diesem und die finanzielle Teilhabe für sie sowieso eingeschränkt sind, auch aufgrund dieser Zuschreibung, dass sie eben mehr Care-Arbeit übernehmen. 

Um es noch einmal abschließend zusammenzufassen: die Verantwortungsübernahme für Mitmenschen und somit Care-Arbeit, hat mit Gender zu tun. Gender, die Geschlechterkonstruktionen und die daran geknüpften Zuschreibungen, dass Frauen vermeintlich besser und mehr Care leisten können usw., sind dafür konstitutiv. Also bedingt diese Verteilung von Carearbeit auch die Abwertung von männlicher Sorgearbeit. Dies ist zentral für die Verteilung von Carearbeit in der Gesellschaft. Ja, zwischen, sagen wir mal, Männern und Frauen, aber eben auch gesamtgesellschaftlich, über alle Geschlechtsidentitäten hinweg. 

Aurora: Als dezidiert anti-kapitalistische Gruppe interessieren wir uns natürlich vor allem für den ökonomischen Aspekt von (meist stark feminisierter) Care-Arbeit, den wir unter anderem in einer zunehmenden Individualisierungstendenz von Care-Verantwortung verorten. (Auch wenn es offiziell ein Anrecht auf Kita-Plätze gibt, wissen wir, dass die Realität für junge Eltern oft anders aussieht. Mit der Pflege älterer Angehöriger verhält es sich – wie Sie wahrscheinlich noch viel besser wissen – ähnlich.) Oft sind wir gezwungen, individuelle Lösungen für die uns übertragene oder zukommende Care-Verantwortung zu finden, weil es für diese Lebenslagen kaum gesamtgesellschaftliche Lösungsansätze gibt. Insbesondere in der feministischen Forschung rund um „Care“ finden sich diese Ansätze jedoch durchaus. Liegt es also an der Marginalisierung feministischer Forschung oder eher an den langsam mahlenden Rädern der deutschen Bürokratie, dass diese Lösungsansätze politisch bisher kaum umgesetzt werden?

Sabrina Schmitt: Also erstmal glaube ich, dass es an keinem von beiden liegt. Ich würde nicht die Einschätzung teilen, dass feministische Forschung grundsätzlich im gesellschaftlichen Diskurs marginalisiert ist. Allerdings gelangen viele spannende Perspektiven feministischer Forschung nicht so richtig in den gesellschaftspolitischen Diskurs. Aber das Thema Care hat aus meiner Sicht schon Konjunktur, also die Care-Arbeit und damit assoziierte Begriffe, wie “mental load”. All dies findet sich sowohl in Zeitschriften, aber auch z.B. auf Instagram, durchaus mit einer sehr klugen Einordnung von Problemen und den Geschlechterzuschreibungen, die ich vorher erläutert habe. Ich würde also gar nicht unbedingt denken, dass das marginalisiert wird, auch nicht die Forschungsdaten dazu. Wir sprechen ja gerade auch im Rahmen des Equal Care Days über Care-Arbeit. 

Ich denke, das wird gut rezipiert und kommt auch sehr gut in den gesellschaftlichen Diskurs. Das ist, denke ich, der Teil von feministischer Forschung, der am anschlussfähigsten an gesellschaftliche Debatten ist. Und ich würde auch behaupten, dass viele Leute in der Politik einen Begriff von Care haben, und der Begriff eigentlich relativ klar ist. Dazu wird auch einiges aktivistisch umgesetzt.

Ein Beispiel ist eben die (wie ich finde höchst problematische) Debatte um die Deckelung des Elterngeldes für Paare mit einem gemeinsamen Einkommen über 150.000 Euro. Auf diesen Vorschlag hin wurde ein vielfach unterschriebene Petition von einer Unternehmerin initiiert, die sich gegen diese Deckelung aussprach und argumentierte, dass so gleichstellungspolitische Effekte des Elterngeldes für diese Paar minimiert würden. An dieser Debatte merkt man sehr deutlich, dass die Geschlechterdebatte und Care breit diskutiert werden und auch versucht wird, politisch Einfluss zu nehmen. Aber es wird eben auch deutlich, dass häufig nur die Forderungen nach gerechter Verteilung von Care-Arbeit Relevanz erfahren, von denen Familien oder Frauen mit hohem Einkommen profitieren. 

Das Problem ist eben, dass gerade das umgesetzt und aufgenommen wird, was in einem kapitalistisch organisierten Wohlfahrtsstaat von Interesse ist. Das heißt, es ist durchaus auch im Interesse kapitalistischer Verwertungslogik, Care ernst zu nehmen. Zum Beispiel wird die unbezahlte Care Arbeit ernstgenommen, im Sinne von “wir wollen, dass möglichst viele erwachsene Menschen am Arbeitsmarkt maximal verfügbar, möglichst flexibel und immer verwertbar sind.” Dann macht es natürlich Sinn zu sagen: “Oh, wir wollen aber auch Care Arbeit, denn wir brauchen ja die Kinder, um die sich gekümmert wird. Irgendjemand muss sich ja auch um die Kranken zu Hause kümmern”.

Aus dieser kapitalistisch organisierten Logik heraus, macht es auch total Sinn zu sagen: “Wir wollen Care Arbeit wertschätzen und wir wollen euch zum Beispiel einen Betriebskindergarten anbieten, damit ihr viel, gut und möglichst lange verfügbar seid und euer Kind dabei gut versorgt wisst.”

Bestimmte Perspektiven auf die Care Arbeit und vor allem die Kinderbetreuung von hauptsächlich akademisierten Personen sind von besonderem Interesse für die Verwertung im Kapitalismus. Diese Care Bedarfe werden meiner Meinung nach nicht marginalisiert, sondern es ist eigentlich so, dass für deren Bedarfe politisch sehr viel umgesetzt wird. 

Sie haben ja auch den Kitaanspruch erwähnt. Also es werden ja Dinge umgesetzt, das Problem ist aber, dass nur das umgesetzt wird, was der Employability, also der Beschäftigungsfähigkeit, dient. In einem Wohlfahrtsstaat, der wie das deutsche konservative Wohlfahrtsstaatsmodell vor allem am Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit orientiert ist, schaffen es bestimmte politische Debatten zu Care also sehr wohl in die politische Umsetzung.  

Aber an den grundlegenden Fragen gibt es kein Interesse, wie: Was ist denn ein gutes Leben für alle, für Care aus einer Perspektive? Wie können wir gutes Leben für alle gestalten, das für alle gut gesorgt ist und auch alle gut sorgen können? Wie können wir das aus einer Perspektive von Geschlechtergerechtigkeit herstellen?

Das heißt, Care wird nur behandelt, solange es der kapitalistischen Wohlfahrtsstaatsorganisation nutzt und es möglichst vielen Leuten Arbeitsmarktpartizipation ermöglicht. Dann werden eben auch Gesetzesvorgaben wie der Anspruch auf einen Kitaplatz paradigmatisch: da geht es darum, möglichst früh die Arbeitsmarktpartizipation wiederherzustellen. Natürlich geht es, so ganz nebenbei, auch um die Kinder. Aber in erster Linie geht es um die Erwachsenen und deren Arbeitsmarktpartizipation. 

Beim Elterngeld ist es genau das Gleiche. Die Frage bei solchen Petitonen oder sozialpolitischen Instrumenten ist nicht: Wie können Kinder gut aufwachsen, was brauchen die? Wie können sich Eltern gut kümmern oder wie kann sich die Wahlfamilie gut kümmern? Die Frage ist nur, überspitzt gesagt: Wie können wir sicherstellen, dass Frauen mit formal hohem Bildungsabschluss möglichst schnell wieder an den Arbeitsmarkt gehen und nicht zu lange rausfallen? Und das machen wir am besten, indem wir Anreize für Väter schaffen.

Soweit wird das politisch alles wunderbar umgesetzt und auch kapitalistisch eingehegt. Die Debatte um Care und Gender wird aus meiner Sicht total kapitalistisch vereinnahmt. Aber es geht in der queer-feministischen Debatte um Care eigentlich genau nicht um die individuelle Ebene, z.B. wie individuell mental load besser verteilt werden kann – auch wenn das wichtig für Einzelne ist. Aber die Care-Debatte ist eigentlich in sich eine herrschaftskritische Debatte, die emanzipatorische Potenziale hat, sich aus dieser Verwertungslogik herauszuschälen. Im Diskurs wird aber eben das, was sehr kapitalismusgängig ist und verwertbar ist, politisch eingehegt, auch auf Instagram verwertbar gemacht. Und das eigentlich Widerständige an dieser Frage, nämlich die Frage danach, was wir brauchen, um gut zu leben, das wird politisch uninteressant gemacht.

Insofern würde ich sagen, es gibt eine Einhegung politischer Forderungen zu Care, die sich auf diesen Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit bezieht. Aber Care in seiner radikalen Form als Potential den Kapitalismus und diese Verwertungslogik und diesen Autonomiefetisch zu hinterfragen, das kommt nicht im Diskurs an. Das wird auch nicht berücksichtigt und findet im Grunde keine Rezeption in gesellschaftspolitischen und politischen Arenen.

Aurora: Zeitgleich lässt sich durch die eben angesprochene Verdrängung von Care-Verantwortung ins Private ein Anstieg der individuellen Auslagerung und der damit einhergehenden Ökonomisierung beobachten: Finde ich keinen Platz in einer öffentlichen Kita, bezahle ich eine private, oder habe ich aufgrund meiner Lohnarbeit keine Zeit meine Mutter zu pflegen, bezahle ich eine (oft migrantische) ambulante Pflegekraft. Sie nennen diese Praxis in einem Beitrag „Delegating Care“. Nun stellt diese Verlagerung aufgrund der anhaltenden „Care-Krise“ (kein innerdeutsches, sondern) ein globales Ausbeutungspotenzial dar. Wir denken da beispielsweise an die Triple-„Win“-Abkommen der Regierung. Es scheint also fast so, als hätte der deutsche Staat kein allzu großes Interesse daran, bezahlte Care-Arbeit deutlich attraktiver zu gestalten, von unbezahlter ganz zu schweigen. In einem Beitrag für „Stimme der Familie“ plädieren Sie – vielleicht auch deshalb – für eine „grundlegende Transformation politischer Rahmenbedingungen in der Angehörigenpflege“. Was genau beinhaltet diese Transformation und inwiefern lässt sich diese auch auf andere Bereiche der Care-Tätigkeit, bezahlt und unbezahlt, übertragen?

Sabrina Schmitt: Ich plädiere auch für eine Transformation, aber auf zwei Ebenen. Die Radikale wäre das, was ich vorher angesprochen habe: Care. Und zwar diese radikal widerständige, kapitalismuskritische Perspektive ins Zentrum zu stellen, und danach Politik und gesellschaftliches Zusammenleben auszurichten. Das wäre eine wirklich radikale Transformation, wo es darum geht, was die politische Ökonomie ist, die dieser Carearbeit dienlich ist. Das würde zum Beispiel bedeuten zu fragen: Welche Formen des Zusammenlebens, welche Form von Community ist für uns wichtig? Wie kann Wohnraum so gestaltet werden, dass er Care ermöglicht? Und zwar Care nicht nur in der heteronormativen Kleinfamilie, sondern Care als geteilte gesellschaftliche Verantwortung?

Das würde auch bedeuten, radikal die Kategorie in Frage zu stellen oder überhaupt nicht in dieser Kategorie zu denken, wer oder was jetzt produktiv ist und wer was erwirtschaftet. Care entzieht sich ja genau dieser Produktivität im kapitalistischen Sinne, also dieser stetigen Steigerung und dieser Abschöpfungsmöglichkeit. Es wäre eigentlich wichtig zu fragen: Wie können wir Care ins Zentrum stellen? Was bedeutet es, wenn wir sagen, wir sind alle sorgebedürftig? Wir leisten alle an irgendeinem Punkt Sorge, wir sind nicht autonom und immer dem Arbeitsmarkt verfügbar und unendlich verwertbar. Wenn wir das zugrunde legen, wie sieht dann Gesellschaft aus? Das wäre die radikale Ebene. 

Auf einer weniger radikalen Ebene, sondern eher auf einer sozialpolitischen Ebene, die durchaus noch anschlussfähig ist an einen kapitalistisch organisierten Wohlfahrtsstaat, gibt es ja unterschiedliche Dinge, die diskutiert werden. 

Mich überzeugt auf dieser Ebene das Konzept der atmenden Lebensläufe sehr, die insbesondere von Karin Jurczyk und Ulrich Mückenberger ins Gespräch gebracht wurden. Bei diesen geht es darum, Zeit im Leben für Care Arbeit bereitzustellen, und zwar Zeitkontingente (genannt wird das dann Zeitrechte), in denen dann Care Arbeit verrichtet werden kann. Zur Care Arbeit gehört dann die Pflege von älteren oder sorgebedürftigen Menschen, von Kindern, aber zum Beispiel eben auch die Selbstsorge und die eigene Weiterbildung. Es würden in unterschiedlichen Phasen im Leben, über den gesamten Lebensverlauf, Kontingente für unbezahlte Care Arbeit zur Verfügung stehen, und das aber bei einer adäquaten finanziellen Absicherung.  

Wir brauchen eben immer alle Care und leisten an irgendwelchen Punkten im Leben auch Care-Arbeit, deswegen finde ich dieses Konzept der atmenden Lebensläufe auch sinnvoll. Auch wenn wir keine Kinder kriegen, kümmere ich mich vielleicht in einer Wahlfamilie oder eine Verantwortungsgemeinschaft. Wenn ich mich dann um das Kind von der Freundin kümmere, dann ist dafür im gesamten Lebensverlauf immer Zeit. Und diese Zeit, die ich dann für Care aufwende, führt nicht dazu, dass ich keinen Verdienst habe, weil ich nicht für Lohn arbeite. Es stellt Care in den Mittelpunkt – und zwar nicht nur an einem, sondern an unterschiedlichen Punkten im Leben. 

Das wäre am Beispiel der Angehörigenpflege sinnvoll. Wenn ich meine demenziell erkrankte Mutter pflege, könnte die Lohnarbeitszeit an unterschiedlichen Punkten z.B. um fünf Stunden reduziert werden. Bei einem höheren dementiellen Stadium könnte noch weiter reduziert werden, und das idealerweise bei vollem Lohnausgleich. Zum einen ist es effektive Armutsprävention, weil ich eben diese Zeit flexibel nehmen kann, eine adäquate Transferleistung (also einen Lohnausgleich) für meine Care Arbeit erhalte. Somit gerate ich nicht in die Gefahr von Armut. Ich finde das ist ein attraktives Konzept, was ausdifferenziert werden müsste.

Wobei zum Beispiel schon im Gleichstellungsbericht auch durchaus von Pflegebudgets gesprochen wird. Das ist natürlich ein bisschen anders gedacht, aber da gibt es schon Konzepte, wo nochmal empirisch geforscht wird. Da gibt es spannende Ideen und Pilotprojekte zu, die man auf jeden Fall weiterverfolgen könnte und die schon dazu führen würden, dass Care besser verteilt wird. Dass es Rahmenbedingungen gibt, in denen Care nicht zu Armut und die Übernahme von unbezahlter Care Arbeit nicht zum Ausschluss von vielen Teilen gesellschaftlichen Lebens oder sofort zum Burnout führt, weil ich sofort wieder in die Lohnarbeit einsteigen muss. Und das wäre, für mich zumindest, eine sinnvolle, politische Maßnahme mit Potenzial. Das gilt vor allem für den Bereich der unbezahlten Arbeit. Aber natürlich würde das auch implizieren, dass sich alle zuständiger fühlen, Carearbeit zu leisten und vielleicht auch sagen: ja, ich kann mir vorstellen im Bereich der bezahlten Carearbeit zu arbeiten.

Ich glaube, dass es ein spannender Aspekt ist, diese Zuschreibungen aufzubrechen, wenn vollkommen klar ist, alle machen Care im Lebensverlauf. Trotzdem würde ich Ihnen zustimmen und auch sagen, nach den oben genannten Logiken, der Beschäftigungsfähigkeit usw. braucht es auch Aktivismus, um diese Transformation auf einer sehr sozialpolitisch gängigen Ebene umzusetzen. Ich glaube, da ist auch noch einiges zu tun.

Aurora: Wir konnten beobachten, dass die Debatte um Care-Arbeit spätestens seit der Corona-Pandemie deutlich präsenter in den Fokus unserer Gesellschaft gerückt ist, nicht zuletzt aufgrund der immer wieder betonten „Systemrelevanz“. Nun kann man diesen Umstand auf eine Realisierung nicht nur der eigenen Verwundbarkeit, sondern auch der potenziellen Dependenz von Care-Arbeiter*innen, zurückführen. Dabei ist jedoch klar, dass wir alle im Laufe unseres Lebens auf Menschen angewiesenen sind, die Fürsorge für uns leisten; Care-Arbeit ist also relevant für jegliches gesellschaftliches System. Deswegen stellt sich hier die Frage nach der Relevanz von Care-Arbeit für dieses spezifische System, sprich dem (digitalen) bürgerlich-kapitalistischen. Wäre dieses ohne Care-Arbeit jeglicher Form überhaupt denkbar?

Sabrina Schmitt: Nein, natürlich nicht. In der Kritik und auch in der Ökonomie wird davon gesprochen, dass Care conditio humana ist. Care ist Bedingung des Menschseins. Wir sind Menschen wegen Care. Wenn ich mich nicht um ein Kind kümmere, keine Zeit mit ihm verbringe, kann es nicht Teil der Gesellschaft, nicht sozial integriert werden. Wir müssen anerkennen, dass wir alle aufeinander angewiesen sind. Und zwar nicht nur wir Menschen untereinander. 

Wo wir auch bei der Frage von Klimagerechtigkeit sind. Wir sind essenziell auf unsere natürliche Mitwelt angewiesen, wir brauchen die Ressourcen der Umwelt und diese Erkenntnis ist zentral. Das liegt diametral entgegen zu dem, was uns die kapitalistische Verwertungslogik sagen will. Nämlich, dass alle autonom sind, jeder sich rational und unabhängig entscheidet, nach seinen rationalen Ideen. Care ist deswegen auch erstmal ein radikaler Gegenentwurf dazu. 

Gleichzeitig ist es natürlich so, dass kapitalistische Verwertungslogik ohne Care Arbeit nicht funktioniert. Das wird sehr deutlich bei der Ressourcenausbeutung in der Natur. Die Natur kann als eine Form von natürlicher Reproduktionsarbeit, also von Care Arbeit gesehen werden. Da gibt es einige super spannende Ansätze zu. Ohne die Vernutzung von natürlichen Ressourcen kann nichts produziert werden. Kapitalismus funktioniert also auch im Sinne von Konsum und das Herstellen von Gütern funktioniert nicht ohne die Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Da haben wir schon eine Ausbeutung, wenn wir die Erde als etwas nehmen, was Care leistet oder sich immer wieder selbst generiert und reproduktiv arbeitet. Es ist dann eine Form von Extrahieren von Ressourcen und der Extraktion von Carearbeit. Genauso ist die Reproduktionsarbeit, also die Carearbeit von Menschen, elementar für kapitalistische Verwertungslogik.

Ich habe es vorher schon anklingen lassen, wenn Menschen sich nicht im Bereich der unbezahlten Care Arbeit um Kinder kümmern und sie im Sinne einer kapitalistischen Verwertungslogik erziehen, sind sie nicht gut verwertbar im Kapitalismus. Da ist zum Beispiel ein Arbeitsethos wichtig, der sagt: Du musst dich ausbeuten lassen, vor allem in bestimmten Klassen, einen guten Job machen, möglichst beschäftigungsfähig, möglichst gut verfügbar für den Arbeitsmarkt und flexibel sein. Habe einen hohen Abschluss, mach dies, mach das, damit du einen Job bekommst. Das ist ja alles Care Arbeit. Und ohne diese gibt es, in der kapitalistischen Logik gesprochen, kein Humankapital. Es funktioniert nicht ohne Care Arbeit. 

Deswegen macht es selbst aus einer kapitalistischen Logik schon Sinn, Care Arbeit ernst zu nehmen. Denn es braucht die Reproduktionsarbeit von FLINTA Personen, um Menschen Teil der Gesellschaft werden zu lassen, um sie so zu sozialisieren, dass sie möglichst gut verwertbar für den Kapitalismus sind. Das ist jetzt eine sehr zynische Sichtweise, aber eben eine Sichtweise. Es braucht natürlich auch Care Arbeit, um Arbeitskraft zu erhalten. Sagen wir mal, eine lohnarbeitende Person wird krank. Aufgrund der Privatisierung von Gesundheitsversorgung wird die Liegezeit im Krankenhaus immer kürzer und Menschen werden früher entlassen. Es braucht also Leute, die sich dann zu Hause um die kranke Person kümmern, bis die wieder fit und arbeitsfähig ist.

Und genauso braucht es auch die institutionalisierte, schlecht bezahlte Care Arbeit, die unter schlechten Arbeitsbedingungen mit hohen Burnout-Raten zu immensen Belastungen führt. Die braucht es eben auch, weil klar ist, dass irgendjemand die kranken Leute versorgen muss. Zum einen aus einer kapitalistischen Logik und zum anderen aus einer normativen, ethischen Idee von: Es ist uns wichtig, uns um ältere Menschen in einer Art und Weise zu kümmern. Das sind nicht nur kapitalistische Logiken, es können auch bestimmte ethische Standards sein, die dann aber nur für bestimmte Gruppen zutreffen. 

Wo man besonders deutlich die kapitalistische Logik sieht, ist z.B. bei pädagogischen Fachkräften in Kitas. Die Arbeitsbedingungen sind dort unterirdisch, gleichzeitig ist es aber immens wichtig, dass die Fachkräfte funktionieren, damit die Kinder betreut werden. Das hat man sehr deutlich in der Corona-Pandemie. Stichwort hier auch wieder “gutes Leben”. Da ging es nicht darum, was die Kinder und Jugendliche brauchen. Wenn man das berücksichtigt hätte, hätte man z.B. diskutieren können, die Jugendeinrichtungen unter Einhaltung des Infektionsschutzes offen zu lassen. Denn für das gute Leben von Jugendlichen ist nicht der Onlineunterricht wichtig, sondern Sozialisationsraum, das Treffen von Gleichaltrigen etc. Aber das stand nicht im Mittelpunkt. Stattdessen ging es darum, wie sichergestellt werden kann, dass Erwachsene weiterhin erwerbstätig sein können. Schulen und Kitas, die mussten also offen sein. Hier zeigt sich Systemrelevanz, aber nur vor dem Hintergrund von Beschäftigungsfähigkeit und dem Erhalt kapitalistischer Verwertungslogik, nicht vor dem Hintergrund von gutem Leben und guter Sorge… Da zeigt sich: Systemrelevanz bedeutet, relevant fürs kapitalistische System. 

Insofern ist Kapitalismus unbedingt auf Care Arbeit angewiesen und braucht vor dem Hintergrund auch zwingend diese patriarchale Arbeitsteilung. Irgendjemand muss sich primär für Care zuständig fühlen, gleichzeitig möglichst gut am Arbeitsmarkt verfügbar sein und irgendwie noch diese Doppelbelastung stemmen. Da überschneidet sich Kapitalismuskonstruktion auch mit Geschlechterkonstruktionen, die dann sehr wohl gelegen kommen. Wo dann zum einen gesagt wird: Wir wollen möglichst viel Arbeitsmarktpartizipation von Frauen, aber wir wollen auch sicherstellen, dass Care gut geleistet, und Frauen sich möglichst zuständig dafür fühlen. 

Das wurde auch von Gabriele Winkler gut herausgearbeitet. Es ist nicht realisitisch, dass FLINTA-Personen einfach keine Care Arbeit mehr machen, weil es einfach zu wenig wohlfahrtsstaatliche Versorgungsstrukturen vorhanden sind. Und Care Arbeit muss ja verrichtet werden, weil sie zentral für Gesellschaft ist. Das führt dann dazu, dass FLINTA-Personen Lohnarbeit und Care Arbeit unter großem Druck vereinbaren müssen. 

Insofern verschränkt sich hier die Idee von: Wir brauchen diese geschlechterspezifische Arbeitsteilung, wir brauchen patriarchale Strukturen, um dieses kapitalistische System aufrechtzuerhalten. Irgendjemand muss Care machen und der Wohlfahrtsstaat wird es nicht komplett richten. Auch die Betriebskita wird nicht alles in Wohlgefallen auflösen. Wir brauchen also Leute, die wir (überspitzt gesagt) auch noch mit dieser Care Arbeit ausbeuten können, und die sich so zuständig fühlen, dass sie dann unter der Last von allem – ich pflege Mutti, ich kümmere mich um meine Kinder und ich gehe noch lohnarbeiten – vollkommen zusammenbrechen. Insofern setzt die kapitalistische Struktur ganz gut auf diesen Geschlechterkonstruktionen und der Zuschreibung von “Frauen sind die besseren Kümmerer” auf. 

Aurora: Wie lässt sich also bei drohendem Systemkollaps bei Nicht-Übernahme von Care-Arbeit – bezahlt wie unbezahlt – die halbherzige Pflege-/Sorgepolitik der Bundesregierung und die darin ausgeklammerte Frage nach gesamtgesellschaftlicher Fürsorgeverantwortung erklären?

Sabrina Schmitt: Ich befürchte, es gibt keinen drohenden Systemkollaps – das ist das Problem. Denn vor dem Hintergrund dieser Geschlechterkonstruktionen sowie brutal rassistischer Ausbeutungsstrukturen, die wir insbesondere in Form der rassifizierten, migrantisierten 24 Stunden-Pflegerin kennen, sind diese Strukturen global gesehen Teil einer noch viel prekäreren Abwärtsspirale. Weltweit werden Fachkräfte abgeworben, wodurch in den Herkunftsländern ebendieser Fachkräfte Versorgungslücken entstehen, die wiederum gefüllt werden müssen. All das trägt also, so meine Prognose, dazu bei, dass wir im Grunde bereits jetzt von einem kollabierten System sprechen können. Denn sowohl für die Sorgeempfangenden, für die Kinder, für die Älteren, für die Kranken und eigentlich für uns alle, funktioniert dieses fragile System seit Jahren nicht mehr. Und es funktioniert auch schon seit langem nicht mehr für die, die Sorge leisten, bezahlt wie auch unbezahlt. 

Care ist conditio humana, also Bedingung von Menschsein. Ohne Care sterben wir, das ist insbesondere den Care-Arbeiter:innen bewusst. Nehmen wir einmal die Krankenhausbewegung. Deutschlandweit gibt es immer mehr Streiks in Kliniken, obwohl bis vor gar nicht all zu langer Zeit gerade von den Pflegekräften häufig Bedenken geäußert wurden, wenn es um die Patient:innenversorgung im Streik ging. Doch gerade aufgrund ihres Bewusstseins für die Zentralität ihrer Arbeit für das “Menschsein” entsteht für Klinikvorstände ein Einfallstor für das hohe Maß an geforderter Selbstausbeutung, das heutzutage in nahezu jedem Krankenhaus an der Tagesordnung ist. Deshalb könnte man sagen, dass das System zwar bereits kollabiert ist, aber der Anreiz zur Fortführung zwecks Alternativlosigkeit jedoch immer noch zu groß ist, als dass Care-Arbeiter*innen und -Gebende einfach ihre Tätigkeit niederlegen. Die Kosten für diese Aufrechterhaltung werden dabei meist von Ländern des Globalen Südens in Form eines massiven Abzugs von Care-Ressourcen getragen, oder aber auf der individuellen Ebene von Eltern, von Sorgenden, von der Fachkraft, die ausgebrannt ist, von den Kindern, die nicht in den Jugendtreff gehen können. Wird das System deswegen aufrechterhalten, weil es ohne Care nicht geht? Ja, denn es gibt Care-Lücken, die nur sehr schwer zu hinterlassen sind, gerade weil sie existenziell bedrohend sein können. 

Deswegen wäre ich unsicher, ob es zum drohenden Systemkollaps in Form einer Nichtübernahme von Care-Arbeit kommen kann, oder ob dann nicht einfach die Kosten vor allem wieder bei den höchst vulnerablen Personen und eben auch den Ländern des Globalen Südens liegen. Es gibt glaube ich schon politische Rahmenbedingungen, die eine bessere gesamtgesellschaftliche Fürsorgeverantwortung ermöglichen würden. Der Grundwiderspruch ist, dass eine politische Ökonomie hegemonial ist, die im Grunde auf ein Produkt und eine möglichst große Abschöpfung von Wert ausgerichtet ist, was nur sehr bedingt mit Arbeit wie Care Arbeit in Einklang gebracht werden. Deswegen glaube ich, dass es eigentlich eine radikalere Transformation braucht. Gleichzeitig denke ich, dass auch in den bestehenden Strukturen wesentlich mehr drin ist für Leute, die Care-Arbeit leisten.

Aurora: Jetzt sitzen wir hier zusammen als feministische Aktivist*innen, was bedeutet, dass wir uns aktiv für die Umsetzung feministischer Anliegen engagieren, weil die deutsche Politik dies nicht in dem Maße tut, wie wir es für angemessen halten. Es stellt sich also konstant die Frage: Was tun? Dabei entspricht dieses Tun selbst auch einer Form von Care-Arbeit: denken wir beispielsweise an Stadtteil-Arbeit, kostenlose Bildungsarbeit oder auch die praktische Ausübung feministischer und antikapitalistischer Gesellschaftskritik. All dies vereint die Überzeugung von der Richtigkeit gesamtgesellschaftlicher Fürsorgeverantwortung. Stellt unser Engagement dabei nicht eine Art Widerspruch dar, wenn wir auf der einen Seite das ausbeuterische patriarchale System kritisieren, gleichzeitig jedoch durch unsere unbezahlte Arbeit viele seiner Lücken füllen und somit zu dessen Erhalt beitragen?

Sabrina Schmitt: Wie gesagt: es ist ein Spannungsfeld, kein Widerspruch. Ich würde das unterscheiden. Es ist klar, dass Carearbeit geleistet werden muss. Der Widerspruch ergibt sich aus den Bedingungen, die so unerträglich sind, das sie eigentlich nicht auszuhalten sind – genau diese Bedingungen lösen in einem selber eine enorme unhaltbare Spannung aus. Das liegt aber nicht an den Müttern, es liegt nicht an den Personen, es liegt nicht an dem Aktivismus.

Erstmal Vorneweg: Ich glaube nicht, dass diese Menschen nicht streiken wollen, sondern dass es daran liegt, dass Care so zentral ist, dass man das nicht einfach lassen kann. Man kann nicht einfach sagen „Ja, dann sorge ich mich eben nicht um mein Kind”. Jetzt geht es hier aber auch um den politischen Aktivismus, was noch mal eine andere Form von Sorgearbeit ist.

Zum Spannungsfeld mit dem Aktivismus oder politischen Engagement und dem ständigen Füllen von Lücken: Ich kann solidarisch mit den Fachkräften sein, wenn ich mein Kind früher aus der Kita abhole, weil sie wieder vollkommen überlastet ist. Das geht dann aber auf meine Kappe, und ich verzichte dafür zum Beispiel auf meine Lohnarbeit oder meine Self-Care Time. Das ist natürlich auch ein Privileg, und ein Spannungsfeld. Es ist aber ein Spannungsfeld und kein Widerspruch, weil es das Spannungsfeld durch Engagement bewältige. Es ist für mich eine ständige Belastung, diese Lücke zu füllen und ich kann mich dann auch nicht gut um mich selber kümmern. 

Das Spannungsfeld besteht also zwischen „ich kümmere mich jetzt eben gar nicht, scheiß drauf, mir ist das alles zu viel, mein Kind geht in die Kita und wenn die überlastet sind, sind sie es halt” und zwischen “ich arbeite mich jetzt selber total auf, sodass ich mein Kind aus der Kita abholen kann und brenne dabei aus”. Ein produktiver Umgang mit und eine produktive Bewältigung von dieser Spannung ist politisches Engagement. Aus der sozialpädagogischen Perspektive würde ich sagen, das ist der Versuch von FLINTA-Personen in dieser brutal vulnerablen Situation handlungsfähig zu bleiben. Es ist eine Form, mit diesem inneren Druck, dieser brutalen Ambivalenz, diesem Ausgeliefertsein, diesen strukturellen Bedingungen, umzugehen. 

Es ist also eine Form, produktiv mit dieser Ambivalenz und dieser Unmöglichkeit der Verhältnisse umzugehen, und eine Form von Handlungsfähigkeit, die einem das Gefühl suggeriert, ich gehe nicht total an diesem Spannungsverhältnis kaputt – und ich glaube, das ist total legitim und wichtig. Politisch aktivistisch unterwegs zu sein, kann für eine Person auch das Potenzial haben, sich in dieser Welt aufgehoben zu fühlen, und die Bedingungen auszuhalten, und nicht das Gefühl zu haben, nicht mehr selbst an der Gestaltung der Verhältnisse beteiligt zu sein. 

Zudem erlebe ich dieses aktivistische oder politische Miteinandersein als sorgende Praxis, als Community. Vielleicht ein großes Wort, ja, aber es macht dieses für mich erfahrbar. Wir sind alle aufeinander angewiesen und wir arbeiten widerständig gemeinsam. Ich glaube, das ist eine wichtige Erfahrung in einem System, das Sorge ständig abwertet. Sich gemeinsam um diese Gesellschaft zu sorgen, ist, glaube ich, auch ein sehr zentraler solidarischer Moment, der sehr viel geben kann. 

Aus meiner subjektiven Perspektive kann es einem individuell sehr viel Kraft und das Gefühl vermitteln, in Beziehung zu sein, in sorgender Gesellschaft zu sein. Konsequenterweise müsste ich vielleicht sagen: “Ja klar, da entsteht eine Lücke. Nein, ich hole mein Kind nicht früher ab”. Und stattdessen einen Brief an die Bezirksbürgermeisterin schreiben, dass die Kitas unterbesetzt sind. Man könnte aber auch argumentieren, dass beides notwendig ist. Dass diese solidarische Praxis mit den Erzieherinnen eine wichtige Erfahrung des füreinander Sorgens ist. Daraus kann wieder eine Form von politischer Praxis entstehen. 

Ich glaube aber auch, dass es gesellschaftlich notwendig ist. Stichwort ist hier nicht nur die AfD, zunehmende rechtskonservative Politik, aber auch rassistische Migrationsregime, ständiger Klassismus, eine Abwertung von armutsbetroffenen Menschen, die ganze Debatte ums Bürger*innengeld usw. Es ist wichtig und ich würde fast sagen alternativlos auf diese Problematiken aufmerksam zu machen und sich mit der widerständigen Praxis, wie auch immer die dann aussieht, zu positionieren. Ich halte das in der Welt, in der wir gerade leben, in der rechtsradikalen Ideologien in Deutschland in der Kontinuität der Shoa immer mehr Deutungsmacht erfahren, für alternativlos. Antifaschistischer Widerstand und politische Praxis sind zentral für unsere Gesellschaft.

Ich würde mich als queerfeministische Person bezeichnen, die politisch aktiv ist. Ich, als weiße, privilegierte Person kann aber auch relativ gefahrlos, mit einem deutschen Pass, politisch aktiv sein. Ich halte es für zentral, dass die Leute, die jetzt in der Lage sind, sich aufgrund ihrer Privilegien zu engagieren, es auch tun. 

Es ist alternativlos, engagiert zu bleiben. Und das kann zu inneren Spannungen führen. Das gilt es produktiv zu machen und nicht als Spannungen, die man selber wahrnimmt, sondern als Systemspannungen zu begreifen. Diese Systemspannungen lösen die individuellen Spannungen aus. Und letztlich ist es so, dass es auch spannungsreich ist, wenn man sich nicht engagiert. Es ist ein unglaubliches Spannungsverhältnis zu erleben, z.B. “Ich bin krank und traue mich kaum, mich krank zu melden, weil ich muss doch verfügbar sein.” Der Alltag ist voller Widersprüche zu dieser ständigen Verwertungslogik und diesem ständigen Erleben. Eigentlich brauche ich Care oder würde mich gern kümmern, aber es gibt überhaupt nicht die Rahmenbedingungen dazu. Insofern glaube ich, ist es besser den Widerspruch oder das Spannungsgefühl in Bezug auf Aktivismus zu haben. Denn dieses Leben ist spannungsreich, weil Sorge eben so wenig bis keinen Platz hat.

Aurora: Wir würden zum Schluss gerne noch einige feministische Utopien anreißen. Einige von uns haben einen gewerkschaftlichen Hintergrund, wir setzen uns also mit Streik nicht nur als Arbeitskampfmaßnahme, sondern auch als politischem Druckmittel auseinander. Stellen wir uns also nun einen feministischen Generalstreik vor, wie er bspw. regelmäßig im Baskenland praktiziert wird – nur eben streiken dieses Mal alle FLINTA mit Care-Verantwortung, ob bezahlt oder nicht. Unsere Gesellschaft, wie wir sie kennen, würde mit großer Sicherheit kollabieren, wir reden also von einem enormen und vielleicht nicht zu verantwortenden Druckmittel. Die Frage wäre aber auch: Welche Art von Systemwechsel müsste also erstreikt werden, damit Care-Arbeit nicht mehr ungleich verteilt ist, sie nicht mehr wie in so vielen Fällen in Prekarität endet, sie nicht mehr entweder als Last oder Broterwerb, sondern als universeller Teil unseres Mensch-Seins angenommen wird, kurz: Wie wäre Care-Arbeit im guten Leben organisiert?

Sabrina Schmitt: Erstmal zum Thema Streik: ja, streiken ist schwierig, wenn es um Care-Arbeit geht, aber nicht unmöglich. Nach der Argumentation von Joan Tronto gibt es aktuell in der Gesellschaft ganze Gruppen von Menschen, die sich im kapitalistischen System quasi ihrer Sorgeverantwortung entziehen können. Hierzu gehören zum Beispiel reiche Menschen, Männer oder männlich gelesene Personen, aber natürlich auch reiche weiße Frauen, die eben ihre Care Arbeit abgeben. Diese Menschen müssten in die Verantwortung genommen werden. 

Ich fände es eine wahnsinnig coole Sache zu sagen, es gibt einen FLINTA-Streik, und in der Zeit müssen die Personen die Carearbeit leisten, die sich bisher aufgrund von gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in diese privilegierte Verantwortungslosigkeit zurückziehen konnten. Also jetzt mal ein bisschen plakativ gesagt: Die Krankenpflegerin streikt und stattdessen kommt der Vorstandschef und wechselt die Bettpfanne. Wenn Streik zu einer Umverteilung der Carearbeit führen würde, fände ich das nicht uninteressant, und auch durchaus zu verantworten. 

Und Streik in dem Bereich ist auch nicht unmöglich. An der Berliner Charité wurde beispielsweise von Pflegekräften gestreikt, und auch Erzieherinnen haben gestreikt. Hier kommt aber beispielsweise die Solidarität von anderen Eltern ins Spiel, die flexibel sind. Da gilt es selber solidarisch zu sein und seine eigenen Sorgeprivilegien kritisch zu hinterfragen. Wenn man beispielsweise einen Job hat, der sehr viele Möglichkeiten eröffnet, und einen sehr privilegiert und damit flexibel sein lässt, kann man sich da auch solidarisch verhalten. Ich finde, Streik ist ein sehr gutes Mittel, vor allem, wenn er wirklich punktuell diese Umverteilung der Verantwortlichen bedeuten würde.

Nun zu der Frage nach dem Systemwechsel. Die Frage, wie wir Care Arbeit im guten Leben organisieren, kann ich nicht beantworten. Da bin ich auch wieder bei Joan Tronto, die sagt, wir müssen erstmal in die Position kommen, dass die Sorgenden sprechen können und dass vor allem auch die Sorgeempfangenden sprechen können. Wir sind alle an unterschiedlichen Punkten im Leben unterschiedlich sorgebedürftig, ob Kinder, chronisch kranke Menschen, Eltern, pflegebedürftige ältere Menschen, demenziell Erkrankte usw. Joan Tronto sagt, dass wir erst gesellschaftlich aushandeln müssen, wie überhaupt gute Care Arbeit aussieht – das weiß aktuell niemand, weil wir gerade eher in der Position sind, dass das gemacht wird, was möglich ist. Diskursiv gesehen sprechen vor allem reiche und weiße Menschen darüber, was gute Sorge ist. Niemand fragt eine 24-Stunden-Pflegekraft: “Was glaubst du ist gute Care Arbeit?” Ich glaube, es braucht also einen Prozess der Aushandlung. Es muss eine Arena geben, in der das genau ausgehandelt wird. Und es braucht Zeit, diese Fragen gesamtgesellschaftlich auszuhandeln. Und das wäre meiner Ansicht schon nach schon eine parlamentarisch-politische Aufgabe, das quasi zum Gegenstand zu machen. 

Und da sind wir schon wieder bei der Frage danach, wie wir Care ins Zentrum stellen. Wenn wir über Fragen wie fehlende Erbschaftssteuer und Steuererhöhungen oder -senkungen sprechen, müssen wir uns immer fragen: Was bedeutet das für Care? Wer wird da wieder in die Verantwortungslosigkeit entlassen? Wie unterstützen wir das System, dass sich Leute eben dieser Care Arbeit immer wieder entziehen können und immer wieder sagen können: “Ja warum? Ich mach doch schon was anderes, ich arbeite, ich zahle Steuern, das ist doch Care – ich kümmere mich doch mit Geld um die Gesellschaft!”. 

Joan Tronto tritt auch stark dafür ein, bei jeder sozialpolitischen oder auch politischen Maßnahmen zu fragen: “Wie und inwiefern ermöglicht es Teilhabe für Sorgende und Sorgeempfangende? Welche Konsequenzen hat diese politische Maßnahme für die Repräsentation von Sorgenden in Entscheidungsgremien?” Das wäre eine zentrale Arena, in der diese Bedarfe mal ausgehandelt werden müssten. 

Insofern kann ich keine Antwort darauf geben, wie das konkret aussähe. Aber ich kann die Antwort geben, dass es wichtig wäre – nein, dass es zwingend erforderlich ist – ein breites Spektrum an Sorgeempfangenden und Sorgenden dazu sprechen und arbeiten zu lassen. Da gehört diese Frage hin. Und zu diesen gehören ja im Grunde alle Menschen. Ich schließe mich da Joan Tronto an: in meinem Verständnis muss zwingend dafür gesorgt werden, dass Leute aus dem Privileg der Verantwortungslosigkeit rauskommen. 

Jeglicher wie auch immer gearteten gesellschaftlichen Organisation eines guten Lebens muss zugrunde liegen, dass es keine Person gibt, die sich dieser Verantwortung für Care qua ihres Geschlechts oder Reichtums entziehen kann. Man muss aus einer marxistischen Perspektive darauf schauen und dem Umstand entgegenarbeiten, dass Personen überhaupt so entfremdet von Sorge sein können, dass sie überhaupt nicht mehr wissen, was es eigentlich bedeutet, sich zu kümmern. Ich glaube, das ist das, was zentral sein muss. Auch Nancy Fraser macht dazu viele spannende Perspektiven auf.

Auf den deutschen Nationalstaat bezogen müsste man schauen: Welche Folgen hat unsere Organisation von Care-Arbeit zum Beispiel in Ländern des globalen Südens? Was bedeutet es eigentlich für die Länder, dass wir das hier so organisieren? Auch die Perspektive von Nachhaltigkeit und ökologischen Ressourcen muss man betrachten, also quasi die reproduktive Kraft von Natur auch noch mal in die Perspektive einbinden. 

Also ja, es gibt leider keine abschließende Antwort. Aber was wirklich zwingend Voraussetzung ist, ist dass sich niemand von Sorge entfremden oder anders gesagt, freikaufen kann. Ohne das und ohne die Repräsentation von Sorgenden und vor allem Sorgeempfangenden werden wir keine, an Care ausgerichtete, gute Care Arbeit hinbekommen.