Was heißt „Schutz“ in der patriarchalen Zivilisation?
Aus dem Englischen von Sarah Harpy
Am 16. April 2025 entschied das höchste Gericht des Vereinigten Königreichs, dass die Kategorien „weiblich“ und „männlich“ künftig nach dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht definiert werden. Nur einen Schritt hinter den USA auf dem Weg zum Trans-Genozid hat Terf Island Trans-Frauen nicht nur ins Fadenkreuz genommen, sondern sie direkt vor die gierigen Kameras der Medien gezerrt. In den sozialen Netzwerken explodierten die Timelines mit Videos von wohlmeinenden cis Frauen und sogar einigen Trans-Männern (nicht lachen!), die Trans-Frauen für ihren Kampf für die Rechte aller Frauen und Queers lobten und allgemein dazu aufriefen, was mittlerweile auf zig T-Shirts steht: „Protect the Dolls“.
Aber was bedeutet das eigentlich? Was heißt es wirklich, jemanden zu schützen? Angesichts eines immer aggressiveren transfeindlichen Staates, angesichts von Hormonverboten, Klo-Gesetzen, gestohlenen Dokumenten und der realen Gefahr von Abschiebung – was heißt es da jemanden zu beschützen? Im Moment scheint es zu heißen, möglichst laut und öffentlich über den „Wert“ von Trans-Frauen in unseren Communities zu reden. Einige unserer ärmeren Schwestern haben auf unsere hohe Armutsquote als Gender-Klasse hingewiesen – angeblich, um eine Art freiwillige Umverteilung anzustoßen. Doch in Wirklichkeit scheint es meistens darauf hinauszulaufen, dass Leute T-Shirts kaufen.
Ich will hier mal guten Willen unterstellen, aber verzichten wir dabei auf Bullshit, okay? Ich will glauben, dass alle, die behaupten besorgt um trans Frauen zu sein, dies auch wirklich sind, und ich will glauben, dass sie bereit sind, etwas dagegen zu tun. Dasselbe glaube ich über all diejenigen, die sich 2024 eine Keffiyah gekauft haben – während das belagerte Gaza Tag für Tag weiter unter zionistischen Bomben und Panzern zermahlen wird. Noch mehr glaube ich, dass die Hunderttausenden, die 2020 gegen Polizeigewalt aufstanden, demonstrierten, sich organisierten, sich nach Freiheit für die New Afrikan Nation sehnten. Und trotzdem: Fünf Jahre später fühlt es sich an, als hätte dieser heiße Sommer nie stattgefunden. Aufrichtiger Glaube lädt keine Waffe.
Wenn die Befreiung von Trans-Personen nur der nächste radikale Trend ist, der ein Jahr lang gehypt wird und dann wieder verschwindet – während der staatliche Angriff auf uns sich ins Unermessliche steigert –, dann will ich die Erste sein, die sich gegen diesen Moment stellt. Werden Trans-Frauen, stets ohne eine ordentliche Anzahl echter Verbündeter, am Ende wieder allein dastehen bis wir vollständig aus der Gesetzgebung getilgt wurden? Der Track Record von Bewegungen im imperialen Zentrum ist scheißmiserabel – also rechne ich genau damit. Aber wir haben die Chance hier und jetzt einzugreifen, bevor hier alles den Bach runtergeht. Also, lasst mich kurz deutlich werden.
In „For Women Only: The Rape Movement in Iraq & Men’s Anti-War Politics“ schreibt die anonyme Autorin:
„Wenn die Anzugträger anfangen, von der Rettung von Frauen zu reden, sollten Schwestern wissen:
Die Massenvergewaltigungen haben bereits begonnen.“
Trans-Frauen sollten mittlerweile begriffen haben: Wenn andere anfangen, von „unserem Schutz“ zu reden, dann markieren sie damit ihr Revier. Diese Empörung hat nichts mit unserer realen Freiheit zu tun. Es geht um die Reste der Frauen- und Queerbewegungen, die gerade dabei sind, den Zugriff auf unsere reproduktive Arbeit zu verlieren – die Arbeit, die wir für die Community und unsere Bewegung leisten. Schaut euch die Videos an, die gerade viral gehen, um uns „zu verteidigen“ – sie reden nicht über unseren eigenen Wert als Frauen, sondern nur darüber, was wir für andere tun. (Was ja anscheinend ohnehin mittlerweile das Maß für den Wert von Frauen ist.)
Ich sage das Trans-Frauen seit Jahren, aber jetzt sage ich es allen: Wir waren jahrzehntelang Teil eurer Bewegungen, eurer Communities, eurer Organisationen – und was hat es uns gebracht? Nichts. Unsere Ahninnen Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson haben das begriffen. Riveras Verachtung für die Human Rights Campaign war bekannt. In den 23 Jahren seit ihrem Tod ist alles nur noch schlimmer geworden – genozidal sogar. Heute ist es en vogue, Marsha und Sylvia zu zitieren, zu sagen, dass Trans-Frauen of Color für eure Rechte und Privilegien gekämpft haben – aber erst, nachdem sie (und viele andere Trans-Frauen of Color) durch Gewalt, Krankheit und bewusstem Ignorieren aus dem Leben gerissen wurden. Und nichts davon bedeutet einen Scheiß.
An alle, die jetzt um Aufmerksamkeit buhlen, um zu zeigen, wie sehr sie die „dolls“ lieben: Wir sind hier, weil ihr uns hierhin gebracht habt. Es war eure Politik, eure Argumentationslinien, eure Interessen als Gender-Klasse, die uns an diesen Punkt gebracht haben. Wenn ihr jetzt wirklich etwas verändern wollt und uns dabei unterstützen wollt, aus dieser Misere rauszukommen, dann nehmt patriarchale Zivilisation ins Visier – sowohl dort, wo sie euch unterdrückt, als auch dort, wo ihr sie selbst weitertragt, in eurem Alltag, in euren Bewegungen. Und in der Zwischenzeit, wie Sanyika Shakur einst an euro-amerikanische Radikale sagte: Wenn ihr Waffen übrig habt – schiebt sie rüber. Wir brauchen keine Instagram-Videos, wir brauchen keine T-Shirts. Wir brauchen, dass patriarchale Zivilisation durch Krieg an allen Fronten geschwächt wird.
An meine Trans-Schwestern: Niemand wird uns aus diesem Loch herausziehen außer wir selbst. Wir brauchen unsere eigene Politik, unsere eigenen bewaffneten Einheiten, unser eigenes Territorium und unsere eigenen Viertel, unsere eigene Hormonproduktion.
Solange wir abhängig bleiben vom patriarchalen Imperialismus werden wir uns niemals befreien.
Ja, es stimmt: Es waren die cis Frauenbewegung, die transmaskuline Queerbewegung oder wer auch immer, die uns in diese Sackgasse geführt haben. Aber Schuldzuweisungen helfen nur, um sich abzugrenzen. Wir müssen uns trotzdem selbst herausziehen. Wir müssen erkennen, dass unsere eigene politische Schwäche es anderen erlaubt hat, uns so lange auszubeuten. Niemand wird uns retten – egal wie viele T-Shirts sie verkaufen.
Ein Beispiel aus dem echten Leben: In Harlem wurde kürzlich eine junge Trans-Frau of Color, Jaia Cruz, in einem Deli von einem Mann angegriffen. Er schlug sie mehrfach und beschimpfte sie als „faggot“ und „tranny“. Jaia stach in Notwehr zu – der Angreifer starb. Sie kam ohne Kaution auf Rikers Island und wurde nach einem Deal zu 15 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil fällt offiziell Ende Mai. Es gibt eine kleine Kampagne für ihre Freilassung, aber nur wenige von uns Trans-Frauen wollen wirklich begreifen, was ihr Fall für uns alle bedeutet. Genau wie bei CeCe McDonald im Jahr 2011 zeigt Jaia Cruz’ Strafe, dass es keinen legalen Weg gibt, sich als Trans-Frau of Color zu verteidigen. Weiße Schwestern haben das noch nicht verstanden.
Denn viele Settler Trans-Frauen sind bereits bewaffnet. In unseren Subkulturen ist es beliebt und süß wenn weiße Trans-Frauen mit ihren Waffen sexy Fotos machen. Aber das bedeutet fast nichts. Vereinzelte Waffennarren werden im Ernstfall keinen Krieg gegen den Staat führen. Eine Schwester von mir verglich sie mit weißen rhodesischen Siedlerinnen, die sich gegen zimbabwische Revolutionäre bewaffneten. Ohne eine revolutionäre politische und militärische Praxis, die uns gegen den imperialistischen Staat und gegen patriarchale Zivilisation stellt, werden auch wir Settler Trans-Frauen genauso für weiße Vorherrschaft sterben wie gegen sie kämpfen.
War das deutlich genug, um euch wachzurütteln? Ich habe es auf die harte Tour gelernt (wie wir alle irgendwann): Nettigkeiten und Rücksicht auf Gefühle bringen in der Realität nichts. Die feministische (und antifeministische) Linke hat sich lange auf Lügen und vermeintliche Errungenschaften verlassen, um sich vor der harten, dreckigen Arbeit zu drücken: unsere Praxis zu schärfen und unsere Fehler zu analysieren. Ich weiß, dass ich mittlerweile wahrscheinlich klinge wie eine kaputte Schallplatte, aber dieser Moment wird vergeudet werden, wenn nicht Schwestern intervenieren, die die patriarchale Gesellschaft am liebsten für verrückt oder irrelevant erklären würde.
Wir sind jetzt, im echten Sinne, Geschlechtsgesetzlose. Nicht nur, weil wir unausgesprochene patriarchale Gesetze brechen, sondern weil unsere bloße Existenz zunehmend illegal ist. Es gibt heutzutage genug Leute, die in den sozialen Medien Alarm aufgrund dieser Politik schlagen. Was wir brauchen, sind praktische Durchbrüche, neue Formen des Organisierens und des Kämpfens gegen patriarchale Zivilisation selbst. Im Moment hängen wir, bewusst oder unbewusst, in alten Formen der Rebellion fest – Formen, die selbst damals kaum funktioniert haben. Die europäisch geprägten marxistischen Parteiaufbau-Orgas, die anarchistischen Charity-Projekte, die maoistischen Jugend-Lesegruppen – nichts davon reicht, um überhaupt mit dem anzufangen, was jetzt nötig ist.
Also: Vergeudet eure Zeit nicht mit T-Shirts oder TikToks. Die Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, ist zu gewaltig, als dass irgendjemand sich davor drücken könnte. Wer nicht mitmacht, bleibt zurück. Der Riss, der sich gerade auftut zwischen hegemonialem Männerfaschismus und uns Geschlechtsgesetzlosen, wird niemanden verschonen. Die Fronten bilden sich jetzt, und vielleicht wirst du runterblicken und feststellen, dass du auf der falschen Seite stehst. Diese Entscheidung zu treffen ist härter als du denkst.
Arm the dolls.
Englisches Original: https://harpies.substack.com/p/arm-the-dolls